Mittwoch, Mai 28, 2008

Sex and the City - Vier gewinnt


USA 2008

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Carrie, Samantha, Charlotte und Miranda sind vier moderne, selbstbewusste New Yorkerinnen. Ihre Freundschaft zueinander, ihre Erfahrungen mit dem vermeintlich starken Geschlecht und ihr nicht Enden wollender Gesprächsbedarf über Elementares wie Banales bescherten der HBO-Serie Sex and the City weltweit eine treue, überwiegend weibliche Fangemeinde. Nachdem 2004 in den USA die letzte Staffel ausgestrahlt wurde, feiert das promiskere Damen-Quartett etwas gealtert, aber nicht minder redselig nun sein Comeback. Der Start des 135-minütigen Kinoauftritts hätte kaum besser getimt sein können. Sex and the City – Der Film bietet das perfekte Kontrastprogramm zu Indiana Jones und Fußball-EM.

Filmkritik:

Es sind rund vier Jahre vergangen, seitdem die vier Freundinnen Carrie (Sarah Jessica Parker), Samantha (Kim Cattrall), Charlotte (Kristin Davies) und Miranda (Cynthia Nixon) in der letzten Folge der HBO-Erfolgsserie Sex and the City ihr Glück in einer monogamen Beziehung fanden. Als die Handlung des Films einsetzt, halten Carrie und ihr Mr. Big (Chris Noth) gerade Ausschau nach einer ihrer ersten gemeinsamen Wohnung. Eher beiläufig kommen sie dabei auf das Thema Heirat zu sprechen und damit auf etwas, das beide eigentlich nie ernsthaft in Betracht zogen. Doch plötzlich ist es passiert. Nach einem eher unromantischen Antrag findet sich Carrie mitten in den Hochzeitsvorbereitungen wieder. Auch für die anderen Sex and the City-Mädels hält das Leben so einige Überraschungen bereit. Manche zieht es weg aus New York, andere wiederum müssen damit zurecht kommen, dass ihre scheinbar heile Welt binnen weniger Minuten zusammenbricht.

Unter der Regie von Michael Patrick King, dem langjährigen Produzenten und Autoren der Serie, breitet der Kinofilm die erprobte Mixtur aus intelligentem Wortwitz, erotischen Intermezzi und einer wohl dosierten Portion Drama auf 135 Minuten aus. Die Geschichte der modisch stets perfekt gestylten New Yorkerinnen kreist dabei im Kern – wie im Übrigen jede andere Romantic Comedy auch – fortwährend um die Suche nach der einen großen Liebe. Und selbst wer diese wie Carrie oder Miranda gefunden zu haben scheint, kann sich seiner Sache nie wirklich sicher sein.

Sollte sich tatsächlich jemand in den Film verirren, der die Serie nicht kennt, so ist das nicht weiter tragisch. In einer Art „Sex and the City für Dummies“ erhält der Unwissende noch während des Vorspanns einen Überblick über das Leben der vier Hauptcharaktere und ihren jeweiligen Beziehungsstatus. Vor allem die männlichen Begleiter dürften diesen Service zu schätzen wissen. Alle anderen werden vermutlich mit Begeisterung zur Kenntnis nehmen, dass die Macher das Erfolgsrezept des ungemein populären Serien-Franchise unangetastet ließen. Sex and the City füllte bei seinem Start eine Lücke aus, indem es das Leben moderner Großstadt-Frauen jenseits der 30 ohne den Rückgriff auf konsensfähige Rollenmuster zeigte. Für eine amerikanische Mainstream-Serie wurde hier ausgesprochen frei und ungezwungen über Sex geredet und dieser zudem recht explizit praktiziert.

Auch wenn das Ende weitestgehend vorhersehbar ist und der Logik ähnlich gelagerter Produktionen gehorcht, hebt sich der Film wohltuend von seinen zunehmend einfallslosen Genre-Kollegen ab. Viele der Beobachtungen und wunderbar trockenen Kommentare könnten so auch von Woody Allen, einem anderen berühmten New Yorker, stammen. King dirigiert seinen Cast durch die Höhen und Tiefen des Großstadt-Dschungels, wobei er nicht davor zurückschreckt, romantische Vorstellungen erst genüsslich zu karikieren, um sie später doch noch zu bedienen. Letztlich ist Sex and the City eben weit weniger progressiv, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Film wie Serie beschreiben die Sehnsucht nach einer im positiven Sinn emanzipatorischen Spießigkeit.

Carrie und ihre Freundinnen, für die King jederzeit eine fast schon fanatische Empathie aufbringt, verkörpern die ideale Identifikations- und Projektionsfläche für eine Generation von Frauen, die sich nicht länger zwischen beruflichem Erfolg und einer glücklichen Beziehung entscheiden will. Obwohl jede von ihnen einen ganz bestimmten Typus darstellt – Samantha gibt die Sexhungrige, Charlotte die Brave, Miranda die Zynikerin, Carrie die Undefinierbare –, lassen sie sich nicht in die engen Vorgaben gängiger RomCom-Schablonen pressen. Dafür sind sie zu komplex und zu vielschichtig, was im Umkehrschluss erklärt, warum sie das Kinoformat derart souverän ausfüllen. Auch wenn der Film mit seiner Laufzeit von deutlich über zwei Stunden andere Befürchtungen schürt, verliert das Liebes- und Beziehungskarussell nie an Schwung.

Für Programmkino.de.

Montag, Mai 26, 2008

Things We lost in the Fire - Accept the Good


USA 2007

++1/2

Things We Lost in the Fire markiert das Hollywood-Debüt der dänischen Filmemacherin Susanne Bier (Open Hearts, Nach der Hochzeit). Die Regisseurin bleibt trotz des Schauplatzwechsels aber auch bei ihrer ersten englischsprachigen Arbeit vieler ihrer früheren Themen treu. So dreht sich auch dieses Mal alles um einen unerwarteten Schicksalsschlag, der das Leben aller Beteiligten für immer verändern soll. Im Besonderen ähnelt der Film von seiner Struktur Biers vielfach preisgekrönten Familiendrama Brothers, dessen Klasse er jedoch nicht erreicht. Sehenswert ist Things We Lost in the Fire aber dennoch, Benicio Del Toro sei Dank.

Filmkritik:

Ein Traumhaus im Grünen, zwei gesunde, aufgeweckte Kinder, eine glückliche Ehe. Für Audrey (Halle Berry) hielt das Leben bislang nahezu ausschließlich Gutes bereit. Das ändert sich erst mit einem tragischen Zwischenfall, der Audrey ihre große Liebe Brian (David Duchovny) für immer entreißen soll. Brian wird hinterrücks erschossen und von einer Sekunde auf die andere ist nichts mehr so, wie es einmal war. Anfangs gelingt es ihr, den Schmerz über diesen unermesslichen Verlust noch zu überspielen. Vor allem gegenüber den Kindern bemüht sie sich, stark zu erscheinen.

Brians bester Freund Jerry (Benicio Del Toro) empfindet es als seine Verpflichtung, Audrey in dieser schwierigen Zeit beizustehen. Immerhin war Brian oftmals der Einzige, der zu ihm gehalten hat, als es ihm wieder einmal dreckig ging, als seine Heroinsucht sein ganzes Leben zu zerstören drohte. Audrey ist sich zunächst unschlüssig, wie sie auf Jerrys Hilfsangebot reagieren soll. Doch dann fasst sie Vertrauen zu ihm. Schließlich bietet sie Jerry sogar an, in die zu einem Appartement umgestaltete Garage einzuziehen. Obwohl sie weiß, dass er die durch Brians Tod entstandene Lücke vermutlich nicht füllen kann, klammert sie sich an die Hoffnung, dass seine Nähe ihr dabei hilft, mit ihrer Einsamkeit fertig zu werden.

Mit Thing s We Lost in the Fire gibt die frühere Dogma-Regisseurin Susanne Bier ihren Einstand in Hollywood. Doch abgesehen davon, dass ihre Darsteller nunmehr weitaus prominentere Namen tragen, halten sich die Veränderungen gegenüber ihren früheren Arbeiten sehr in Grenzen. Wieder einmal beschäftigt sich Bier mit der Reaktion von Menschen auf einen unerwarteten Schicksalsschlag, wie sie mit persönlicher Trauer und einem vorher so nicht gekannten Gefühl der Einsamkeit umgehen. Gerade Brothers – Biers preisgekröntes Familiendrama um zwei ungleiche Brüder, von denen der eine sich um die Frau und Familie des anderen kümmert, als dieser nach einem Kampfeinsatz in Afghanistan für tot erklärt wird – scheint es Drehbuchautor Allan Loeb angetan zu haben.

Wenngleich die Verpackung insgesamt eine Spur glatter, edler daherkommt, mehr Hochglanz und weniger Dogma die Komposition der Bilder bestimmt, sind die Konstanten in Biers Werk nicht zu übersehen. Nicht nur, dass sich erneut Johan Söderqvist für die sehr atmosphärische und zurückhaltende Filmmusik verantwortlich zeichnet, Bier bleibt darüber hinaus ihrer Vorliebe für extreme Close Ups und einer recht intuitiven Handkameraführung treu. Immer wieder fixiert die Kamera die Augenpartien der Darsteller, verweilt der Blick des Zuschauers bei kleinen Gesten wie den schüchternen Berührungen zwischen Jerry und Audrey. Damit sagen die Bilder mehr als die bisweilen zu sehr auf Symbolik und Bedeutung getrimmten Dialoge über den Seelenzustand der Figuren aus.

Die Geschichte nimmt in der zweiten Hälfte den erwarten Verlauf. Jerry wird rückfällig, dann auf kalten Entzug gesetzt und bricht schließlich zwar nicht geheilt, aber zumindest mit gestärkten Selbstwertgefühl in einen neuen Lebensabschnitt auf. Hier scheint Things We Lost in the Fire den Weg des geringsten Widerstands gehen zu wollen. Dazu passt, dass sich seine Kernaussage auf drei Worte („Accept the Good“) reduzieren lässt. Mag das Ende manches an Konflikten einfach unter den Teppich kehren und der Film somit nicht zu Biers stärksten Arbeiten gehören, die Leistung der Darsteller bleibt davon unberührt. Wie schon in Iñárritus Schuld und Sühne-Drama 21 Gramm zieht Benicio Del Toro einmal mehr sämtliche Blicke auf sich. Sein mitreißendes Portrait eines von Selbstzweifeln gequälten Heroinjunkies ist wohl das, was man gemeinhin einen schauspielerischen Parforceritt nennt. Und so ist es wenig verwunderlich, dass ausgerechnet Jerrys Cold Turkey als emotionaler Höhepunkt in Erinnerung bleibt.

Für Programmkino.de.

Freitag, Mai 23, 2008

Indiana Jones und das Königreich des Kristallschädels


USA 2008

++

Back for good? Nach fast zwei Jahrzehnten reaktivieren Steven Spielberg und George Lucas den bekanntesten Archäologen der Filmgeschichte für ein viertes Indy-Abenteuer. Ob das eine so kluge Entscheidung war? Weiterlesen auf evolver.

Dienstag, Mai 20, 2008

Die Unbekannte - Eine Frau mit zwei Gesichtern


I/F 2006

++

Egal ob Spaghetti-Western, Giallo oder das Autorenkino eines Fellini, der italienische Film hat über die letzten Jahrzehnte viele Genres und Richtungen maßgeblich geprägt und sie erfolgreich in alle Welt exportiert. Mittlerweile ist der Glanz früherer Tage jedoch merklich verblasst. Nur eine Handvoll Regisseure erreichen heute noch ein Publikum außerhalb ihres Heimatlandes. Giuseppe Tornatore gehört sicherlich dazu. Lange war es still um den Mann, der bereits vor zwanzig Jahren für Cinema Paradiso einen Oscar gewann. Sechs Jahre hat sich Tornatore für seinen neuen Film Zeit gelassen. Nachdem er in dem nostalgischen Coming-of-Age-Drama Malèna aus Monica Belluci einen internationalen Star machte, wendet er sich in Die Unbekannte einem deutlich sperrigeren und unbequemeren Stoff zu.

Es geht um sexuellen Missbrauch, um Gewalt gegen Frauen, um jahrelange Demütigung und ein menschenverachtendes System aus Abhängigkeiten und Einschüchterung. Bereits die erste Szene macht deutlich, dass hier die Machtverhältnisse sehr ungleich verteilt sind. In einer seltsamen Form der Fleischbeschau werden eine Reihe junger Frauen in einen Raum geführt. Einige von ihnen werden aufgefordert sich auszuziehen. Ihre Gesichter sind dabei die ganze Zeit von einer ausdruckslosen Maske verdeckt. Hinter einer Wand, in der kleine Löcher eingelassen sind, verfolgen einige gleichsam anonyme Augenpaare den Striptease der Mädchen. Was hier genau vorgeht, soll sich jedoch erst später wirklich klären lassen.

Szenenwechsel. Wir befinden uns plötzlich in einer namentlich nicht genannten Stadt in Nord-Italien. Eine dem Akzent nach zu urteilen aus Osteuropa stammende junge Frau (Xenia Rappoport) ist auf der Suche nach einer Wohnung und einer festen Anstellung. Der Koffer, den sie bei sich trägt, ist voller Geld. Geld, dessen Herkunft zunächst unbestimmt ist. Die Frau nennt sich selbst Irena. Sie bemüht sich in der Nachbarschaft um einen Job als Putzfrau. Dabei hat sie es auf ein ganz bestimmtes Haus abgesehen, in dem vor allem reiche Juwelierfamilien wohnen. Ihr Interesse gilt einem Goldschmiede-Ehepaar (Claudia Gerini, Pierfrancesco Favino) und deren Tochter Tea (Clara Dossena). Auch das scheint keineswegs ein Zufall zu sein.

An Ehrgeiz hat es Tornatore noch nie gemangelt. Doch selbst für einen Perfektionisten wie ihn erscheint Die Unbekannte seltsam überambitioniert. Das betrifft sowohl den Inhalt als auch die Form, in die er Irenas Geschichte zwängt. Von den ersten Minuten an versucht sich Tornatore an der intuitiven Vermischung zweier Zeitebenen, von denen die eine wie ein Blitz die andere immer wieder durchschlägt. Diese eruptiven Einschübe zeigen, was hinter Irena liegt, welches Martyrium sie durchlitten hat. Die irritierend weich und warm fotografierten Szenen stehen dabei in einem starken Kontrast zur eigentlichen Handlung um Irenas wohl nicht ganz zufällige Annäherung an das Goldschmiede-Ehepaar und deren Tochter. Nach einer Weile führt der immer wiederkehrende Rückgriff auf dieses Stilmittel jedoch zu unübersehbaren Abnutzungserscheinungen.

Natürlich holt die Vergangenheit auch Irena eines Tages ein. In Person ihres früheren Peinigers Muffa (Michele Placido) kommt der Terror zurück in ihr Leben. Dann erhält die vorher nur recht abstrakt spürbare Bedrohung auf einmal eine sehr konkrete Gestalt. Untermalt wird all dies von einem atmosphärischen, zuweilen aber auch recht aufdringlichen Score des Altmeisters Ennio Morricone, der sich offenkundig von den Kompositionen eines Bernard Herrmann und den Suspense-Klassikern Alfred Hitchcocks inspirieren ließ (auch wenn er das niemals zugeben würde). Überhaupt folgt Tornatore einem Konzept, das dem eines typischen Hitchcock-Thrillers schon recht nahe kommt, wobei er allerdings gerade im letzten Filmdrittel den geradlinigen Thriller-Plot links liegen lässt, um stattdessen in mehr als sentimentalen Gewässern zu fischen.

Spätestens dann zeigt sich auch, dass Tornatore einfach zu viel will, weil er zu viel und zu Gewichtiges zu erzählen hat. Irena soll den Zehntausenden Frauen ein Gesicht geben, die mit falschen Versprechungen nach Westeuropa gelockt und dann von ihren Peinigern nur noch wie ein Stück Vieh behandelt werden. Diese sicherlich ehrenwerte Absicht will nicht so recht zu dem eigentlich simplen Exploitation-Thema passen. Wo Die Unbekannte zunächst mit Versatzstücken des genuin italienischen Giallos durchaus versiert spielt – auch bei Tornatore wird das Vergießen von Blut reichlich kunstvoll inszeniert –, flüchtet sich der Film am Ende in einen berechenbaren Plot-Twist, der Genre-Kennern nicht mehr als ein kurzes Schmunzeln entlocken dürfte. Auch von der anfangs bedrohlichen Grundstimmung, die wohl nicht ganz zufällig an einen David Lynch-Albtraum erinnert, ist dann nichts mehr zu spüren. Wird der Zuschauer bei Lynch nämlich zumeist sich selbst überlassen, bleiben hier schlussendlich keine Fragen offen.

Für BlairWitch.de.

Freitag, Mai 16, 2008

Brügge sehen... und sterben? - Wandern in Flandern


GB/BEL 2007

+++1/2

Zwei irische Profi-Killer, eine geheimnisvolle blonde Schönheit, ein rassistischer Zwerg und eine graue Eminenz, die keinen Spaß versteht: Im malerischen Brügge kreuzen sich die Wege all dieser Akteure in einem äußerst blutigen Shootout. Weiterlesen auf evolver.

Montag, Mai 12, 2008

Paranoid Park - He was a Sk8er Boy...


USA 2007

+++1/2

Gus van Sant bleibt seinen bevorzugten Themen treu. Auch in Paranoid Park lenkt er den Blick auf einen ganz bestimmten Ausschnitt amerikanischer Jugendkultur und den von Ängsten und Selbstzweifeln gekennzeichneten Prozess des Erwachsenswerdens.

Kaum ein amerikanischer Independent-Filmer stößt auf soviel Bewunderung und Ablehnung wie Gus Van Sant. Gerade seine letzten Werke, der experimentelle Gerry (2002) und Elephant (2003), die in Cannes gleich zweifach ausgezeichnete, an das Highschool-Massaker von Columbine angelehnte Chronik einer rational nicht fassbaren Tragödie, spalteten das Publikum. Zu artifiziell, zu selbstverliebt, zu distanziert, Van Sants Filme boten stets reichlich Angriffsfläche für Kritik. Auch an Paranoid Park schieden sich bei seinen Aufführungen in Cannes, Toronto und Wien die Geister. Kein Wunder, findet sich doch hier Manches, für das man Van Sant wahlweise lieben oder hassen kann.

Erneut taucht Gus Van Sant in das Milieu einer typischen amerikanischen High School ein. Dabei gilt sein Interesse einer ganz bestimmten Subkultur. Im Burnside Skate Park, von den Jugendlichen auch Paranoid Park genannt, treffen sich Portlands Skater, um in selbstgebauten Parcours ihrer Leidenschaft nachzugehen und sich an neuen, oftmals halsbrecherischen Tricks zu versuchen. Alex (Gabe Nevins) würde nur zu gerne einer von ihnen sein, doch sein Talent, was das Skateboard fahren angeht, hält sich in Grenzen. So bleibt ihm nicht anderes übrig, als zusammen mit seinem Kumpel Jared (Jake Miller) abzuhängen und den anderen Kids in der Halfpipe zuzusehen. Oder er trifft sich mit seiner hübschen Freundin Jennifer (Taylor Momsen). Zuhause ist Alex dagegen nur selten, wohl auch, weil seine Eltern gerade ihre Scheidung durchleben.

Soweit eine ganz normale Jugend könnte man meinen. Erst ein nächtlicher Zwischenfall, bei dem Alex einen Unfall provoziert und der einen Parkwächter das Leben kostet, stürzt den Jungen in ein moralisches Dilemma. Der Druck auf ihn wächst, nachdem ein Detective (Dan Liu) in Alex’ Schule auftaucht, um ihn und die anderen Skater über die Ereignisse jener Nacht zu befragen.

Wie schon in Elephant entschied sich Van Sant für eine non-lineare Erzählstruktur. Der Film kreist dabei um den Tod des Wachmanns, der Alex Leben in ein Davor und Danach einteilt und der Auslöser für all die Gedanken und inneren Konflikte ist, die Paranoid Park als Leitmotiv bis in die letzte Einstellung begleiten. So kommt es, dass Szenen sich wiederholen und Einstellungen erst einen Sinn ergeben, nachdem Van Sant die Lücken zwischen ihnen geschlossen hat. Der Film nimmt sich bewusst Zeit, um uns Alex’ Alltag näher zu bringen. In einem stark verdichteten Mix aus Super 8-, Digital- und 35mm-Aufnahmen fängt die Kamera von Christopher Doyle und Rain Kathy Li die Ästhetik und Faszination des Skatebord-Sports ein.

Je länger man den anfangs etwas willkürlich erscheinenden Impressionen folgt, desto klarer wird das Big Picture und desto stärker zieht einen Paranoid Park in seinen Bann. Van Sant verknüpft geschickt die Ästhetik der Bilder mit einem markanten Soundtrack, der von Hip Hop über Country, Folk, Songwriter-Pop bis hin zu hartem Rock unzählige Stilrichtungen vereint, und der zunächst als Kommentar auf Alex’ jeweiligen Gemütszustand funktioniert. Die Musik und die großartigen Soundcollagen von Leslie Shatz leisten aber noch weitaus mehr. Sie formen so etwas wie ein hörbares Unterbewusstsein. Als Alex nach dem tragischen Unfall unter der Dusche zusammenbricht, scheint sich die Szene in einem ohrenbetäubenden Fanal aus exotischem Vogelgezwitscher und dröhnenden Wasserrauschen aufzulösen. Intuitiver und direkter lässt sich kaum die Angst und Verunsicherung abbilden, die Alex in diesem Moment fühlt und unter deren Last er beinahe kollabiert.

Das Casting für Paranoid Park nahm Van Sant über das Internet-Portal MySpace vor. Dort entdeckte er auch den jungen Gabe Nevins, der hier sein Schauspieldebüt gibt. Nevins gelingt es, Alex über weite Strecken als ein Mysterium darzustellen, bei dem man rätselt, was tatsächlich in ihm vorgehen mag. Warum reagiert er derart gelangweilt auf die sexuellen Avancen seiner Freundin? Warum lässt ihn die Scheidung seiner Eltern von außen zu urteilen nur so kalt? Mehr und mehr durchdringt der Film im Lauf seiner rund 80 Minuten diesen schwierigen Charakter, der sich einem Ereignis stellen muss, das ihn sein gesamtes Leben nicht mehr loslassen wird.

Paranoid Park ist wie schon Elephant nicht frei von Van Sants typischen Manierismen, nur mit dem Unterschied, dass dieses Mal Form und Inhalt ein sinnvolles Ganzes ergeben. Die fragmentarische Narration, das Vor- und Zurückspringen in der Zeit ist Ausdruck von Alex’ Unsicherheit, dem Kampf zwischen seinem Gewissen und dem Bedürfnis, das Ereignis möglichst rasch zu verdrängen. Auf diese Weise wird Paranoid Park zum überzeugenden und aufwühlenden Dokument eines adoleszenten Traumas.

Mittwoch, Mai 07, 2008

Love Vegas - Das bekannte Was-sich-liebt-das-neckt-sich-Prinzip


USA 2008

+1/2

Eine rauschende Partynacht und ihre weit reichenden Folgen: In dieser nach Schema F inszenierten romantischen Komödie werden Ashton Kutcher und Cameron Diaz zu sechs Monaten Ehe verurteilt. Alles weitere auf Critic.de.

Sonntag, Mai 04, 2008

[Rec] - Kontrollverlust in Echtzeit


ESP 2007

+++1/2

Dieser Text enthält leichte Spoiler!

Mit seinem Ansatz, einen Film als quasi authentisches Live-Dokument zu konzipieren, stieß ein kleiner amerikanischer Horrorfilm namens Blair Witch Project vor knapp zehn Jahren die Tür zu einer ganz neuen Art von Genrefilmen auf. Doch es dauerte lange, bis auch andere Kreative den pseudo-dokumentarischen Look nutzten, um ihre Geschichten auf eine ähnlich effektive Weise zu erzählen. Nach Cloverfield, der dem ausgelutschten Monsterhorror über seine Videoästhetik einen erfrischenden Neustart ermöglichte, startet nun der spanische [Rec] in unseren Kinos.

Die Arbeit von Nameless-Regisseur Jaume Balagueró und seinem Kollegen Paco Plaza wurde auf renommierten Festivals wie Sitges bereits mit Auszeichnungen überhäuft. Entsprechend hoch dürften die Erwartungen der heimischen Horrorgemeinde sein. Daher das Wichtigste vorab: [Rec] löst sämtliche Versprechungen an einen guten, will heißen wirklich angsteinflößenden, Horrorfilm ein.

Dabei beginnt die bewusst einfach gehaltene Story noch recht harmlos und unspektakulär. Die Lokalreporterin Angela Vidal (Manuela Velasco) soll zusammen mit ihrem Kameramann Pablo die Arbeit einer Gruppe von Feuerwehrmännern dokumentieren. Deren Alltag, das wird Angela schnell klar, besteht größtenteils aus Warten und langweiligen Routineeinsätzen. Auch die Fahrt zu einem alten Mietshaus scheint anfangs ein solcher Routineeinsatz zu sein. Die Feuerwehr soll der Polizei Zutritt zu einer Wohnung verschaffen, aus der Nachbarn fürchterliche Schreie vernommen haben. Am Einsatzort angekommen treffen die Männer der Feuerwehr und das TV-Team auf eine Reihe neugieriger Hausbewohner, die nur zu gerne wüssten, was sich hinter der Wohnungstür zugetragen hat.

Als sich die Beamten schließlich Zutritt verschaffen, passiert etwas, womit wohl niemand gerechnet hat. Eine auf den ersten Blick hilfsbedürftige alte Frau greift die Männer unvermittelt an. Ein Polizist wird von ihr sogar so schwer in den Hals gebissen, dass er zu verbluten droht. Doch Hilfe zu holen ist unmöglich. So hat die Polizei inzwischen das Haus auf Anweisung des Gesundheitsamtes weiträumig abgesperrt. Alle Bewohner, das TV-Team und die eingeschlossenen Feuerwehrmänner werden aufgefordert, Ruhe zu bewahren. Bis endgültig geklärt ist, was in dem Haus tatsächlich vor sich geht, dürfen sie das Gebäude nicht verlassen. Und so sind sie alle plötzlich Gefangene in einem Albtraum, der sich – man ahnt es – längst nicht mehr kontrollieren lässt.

Akzeptiert man die Prämisse, dass die Kamera eine heilige Kuh ist und die Akteure lieber jedes Detail in Bild und Ton festhalten, anstatt anderen womöglich in höchster Not zur Hilfe zu eilen, kann die Fahrt in der Geister-Achterbahn beginnen. Einmal eingestiegen gibt es nach der kurzen und wie bei Cloverfield etwas beliebig erscheinenden Einleitung kaum noch Gelegenheit, einmal entspannt durchzuatmen. Selbst wenn das Timing mancher Schocks nicht optimal gewählt ist, dürften diese kaum ihre Wirkung verfehlen. Dafür sorgt bereits die subjektive Ich-Perspektive des Films, die jede Distanz zwischen Leinwand und Publikum aufkündigt und uns so zu einem Mitgefangenen im Vorhof der Hölle macht.

Balagueró und Plaza legten großen Wert darauf, die Action möglichst echt und zufällig erscheinen zu lassen. Im Gegensatz zum modernen Blockbusterkino, wo dramaturgische Höhepunkte zumeist mit Pauken und Trompeten angekündigt und inszeniert werden, geschieht der Horror in [Rec] fast beiläufig. Nicht immer kann die Kamera dabei jede Aktion von Anfang bis Ende festhalten, sei es, weil Kameramann Pablo selbst überrascht wurde oder er sich schlichtweg nicht unmittelbar am Ort des Geschehens aufhielt. Auch die zeitweiligen Bildaussetzer oder das zum Ende hin nicht mehr funktionstüchtige Licht des Aufnahmegeräts wurden stimmig und effektiv in den Plot integriert.

[Rec] funktioniert nicht zuletzt deshalb, weil die Macher es verstehen, die Beschränktheit und Enge des Schauplatzes für ihre You Tube-Version eines Zombie-/Mutantenfilms optimal auszunutzen. Neben einer möglichst realistischen Darstellung des Horrors, der sich organisch aus einer anfänglich alltäglichen Situation peu á peu entfaltet, erzeugt die Isolation ein ungutes, beinahe klaustrophobisches Gefühl. Dazu muss man nicht einmal besonders unter Platzangst leiden. Während die Eskalation im Haus unaufhaltsam voranschreitet, arbeiten die überall anzutreffenden verschlossenen Türen und Fenster an der Steigerung des ohnehin omnipräsenten Grauens.

Balagueró und Plaza kennen bis zuletzt kein Pardon. Je mehr die Bedrohung in Gestalt immer weiterer Infizierter um sich greift, desto deutlicher schlägt der Kontrollverlust auch in der audio-visuellen Präsentation durch. Die Bilder werden noch verwackelter, die Schreie auf der Tonspur noch markerschütternder. Am Ende löst sich der Film in einem Fanal aus Blut, (Angst-)Schweiß und Tränen auf, das bei aller Unsicherheit nur eine Gewissheit zulässt: An [Rec] geht in Sachen Horror dieses Jahr kein Weg vorbei.

Erschienen bei BlairWitch.de.

Freitag, Mai 02, 2008

Wilde Unschuld - An der Oberfläche


USA 2007

++

Es ist die Chronik einer wahren Katastrophe. Verpackt in elegante Bilder und basierend auf dem Tatsachen-Roman von Howard A. Rodman erzählt Wilde Unschuld von einer unglücklichen Ehe, zerstörerischen Abhängigkeiten und einer inzestuösen Mutter-Sohn-Beziehung. Das Familiendrama rund um den schwerreichen Baekeland-Clan wäre heutzutage ein gefundenes Fressen für Paparazzis und Yellow Press.

Filmkritik:

Das Leben schreibt immer noch die unglaublichsten Geschichten. Dabei ist die Tragödie, die das drei Dekaden umspannende Familiendrama Wilde Unschuld vor dem Zuschauer ausbreitet, durch zahlreiche Zeugenaussagen und Briefe der Beteiligten bis ins Detail verbürgt. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf, als die hübsche Möchtegern-Schauspielerin Barbara Daly (Julianne Moore) in die hoch angesehene Baekeland-Dynastie einheiratet. Ihr Mann Brooks (Stephen Dillane) ist der Enkel des aus Belgien stammenden Chemikers Leo Hendrik Baekeland, der Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung des nach ihm benannten Kunststoffes Bakelite ein Vermögen machte.

Die Ehe ist nur nach außen perfekt. Beide haben Affären. Barbara sucht zudem verzweifelt nach Anerkennung und Bestätigung, was ihr im Kreis der High Society aber zumeist verwehrt bleibt. Auch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Antony und der Umzug nach Europa ändern nichts an dieser Situation. So vergehen die Jahre, in denen sich die Eheleute immer weiter voneinander entfremden. Während Antony (Eddy Redmayne) allmählich erwachsen wird und seine eigene Sexualität entdeckt – schnell wird klar, dass er eigentlich Männer liebt –, zieht Brooks einen Schlussstrich unter die Beziehung zu Barbara. Sein Herz gehört einer Jüngeren. Bianca (Elena Anaya), ausgerechnet ein früherer Urlaubsflirt seines Sohnes, ist fortan die Frau an seiner Seite.

Man ahnt, dass diese Geschichte kein Gutes Ende nehmen wird. Von den ersten Minuten an liegt eine erdrückende Last auf den opulenten Bildern des High Society-Lebens, das bereits damals erschreckend genau den von Boulevard-Blättern kolportierten Klischees des modernen Jetsets entsprach. Kameramann Juan Miguel Azpiroz packt den verschwenderischen Luxus in stilvolle, bisweilen gar stilisierte Aufnahmen. Dabei ist die Idylle an Urlaubsorten wie der Costa Brava oder Mallorca stets zu perfekt, als dass man ihr auch nur für einen Moment trauen könnte, zumal der an klassische Suspense-Filme angelehnte Score die düstere Vorahnung noch befeuert.

Ein Hauch von Shakespeare umweht Tom Kalins tragische Familien-Chronik, die von selbstzerstörerischen, neurotischen und psychisch schwer gestörten Charakteren förmlich zu bersten scheint. Und vermutlich ist das auch der größte Haken an Wilde Unschuld. Denn es fällt trotz der durchweg erstklassigen Besetzung schwer, sich für diesen Haufen – pardon – arroganter Schnösel zu interessieren, deren einziger Zeitvertreib die Zurschaustellung der eigenen Eitelkeit zu sein scheint. Lediglich für Julianne Moores einsame Society-Lady lässt sich so etwas wie Verständnis aufbringen. Dabei beeindruckt die Moore einmal mehr in einer dramatischen Rolle, deren distinguierte Eleganz gewisse Parallelen zu Todd Haynes Douglas Sirk-Hommage Dem Himmel so fern offenbart.

Leider trägt das mondäne Setting nicht über die gesamte Laufzeit. So kann auch die ausgeklügelte Ästhetik das mitunter deutlich spürbare inhaltliche Vakuum nicht kaschieren. Denn obwohl Wilde Unschuld innerhalb seiner 96 Minuten vieles behandelt – angefangen von einer unglücklichen Ehe, über einen Coming-of-Age-Subplot bis hin zu einer inzestuösen Mutter-Sohn-Beziehung–, geht der Film nur selten in die Tiefe. Es mag zwar konsequent sein, einen oberflächlichen Film über vermeintlich oberflächliche Menschen zu drehen, wirklich zufriedenstellen kann diese Analogie letztlich jedoch nicht.

Für Programmkino.de.