Dienstag, Februar 28, 2006

Knallhart - In den Straßen von Neukölln




Knallhart D 2005

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Einige leichte Spoiler!

Ich hätte niemals gedacht, dass ich über einen Film mit Society-Blondine Jenny Elvers-Elbertzhagen einmal schreiben würde, dass dieser nach Schmonzetten wie „Die weiße Massai“ dem deutschen Film wieder ein mutigeres, schärferes Profil verpasst. „Knallhart“, kein anderer als Detlev Buck nahm auf dem Regiestsuhl Platz, lief bereits mit viel Beachtung in der Panorama-Sektion der diesjährigen Berlinale. Auf den Punkt gebracht verlegen Buck und seine beiden Autoren Zoran Drvenkar und Gregor Tressnow die Bronx nach Berlin-Neukölln, und wer dort einmal zumindest vorbeigesehen hat, der weiß, dass dies nicht unbedingt ein weit hergholter Vergleich sein muss. Das früher als Multikulti heute eher mit dem Begriff der vielen Parallelgesellschaften umschriebene Viertel hat nicht den Chic von Schöneberg oder Prenzlauer Berg und liegt gemessen am bürgerlichen Zehlendorf wohl auf einem anderen Stern.

Diese Erfahrung müssen auch der 15jährige Michael (David Kross) und seine Mutter Miriam (eben jene Jenny Elvers-Elberzhagen) machen, nachdem ihr Ex-Lover (Jan Henrik Stahlberg) das Mutter-Sohn-Gespann aus dem schniken Einfamilien-Bugalow rausgeschmissen hat. Eine neue Wohung finden sie in einem heruntergekommenen Wohnhaus im lauten, hektischen Neukölln. Dort prägen vor allem Türken, Araber und Osteuropäer das Straßenbild. Wer es sich von den Deutschen (und auch den Ausländern) leisten kann, zieht weg. In der Schule macht Michael dann zum ersten Mal Bekanntschaft mit der prolligen Schlägerbande um den Türken Errol (Oktay Özdemir), die ihn regelmäßig abziehen und einschüchtern. Gemeinsam mit seinen beiden neuen Kumpels Crille und (Arnel Taci) und Matze (Kai Michael Müller) versucht er sich, eher erfolglos, zur Wehr zu setzen. Erst als Hamal (Erhan Emre), der Pate des Viertels, auf Michael aufmerksam wird und ihn als Drogenkurier engagiert, hören die Repressalien auf.

Die krasse Welt der „Sido“-und-Konsorten-Videos hat nun also ihren abendfüllenden Kinofilm bekommen. Was zunächst Befürchtungen weckt, hier werde wohl eine falsche Gewaltgeilheit und Idealisierung eines sozialen Brennpunktes zu Marketingzwecken betrieben, erweist sich glücklicherweise als haltlos. Denn Buck zeigt unterlegt von szenetypischer Hip Hop-Musik nicht nur die irgendwie (dank der Farbentsättigung) doch schön anzusehenden Plattenbauten und versifften Wohngegenden, er hält auch drauf, als die Schattenseite des „Kiezes“ sichtbar wird. Wenn Michael von Errol verprügelt und erpresst wird, wenn Jugendliche aus Langeweile zu Straftätern werden, oder wenn die Polizei beim Nachbarn wie selbstverständlich ein- und ausgeht. Diese direkte Konfrontation mit einer langsam aber unaufhaltsam voranschreitenden Ghettoisierung und Verwahrlosung von Menschen und ganzen Stadtteilen ist hoffentlich mehr als ein Alibi. Obwohl der Realitätsbezug u.a. durch die wacklige Handkamera und die unglaublich natürlich wirkenden Darsteller immer wieder von Buck gesucht wird, entwickelt der Film im Verlauf seiner 98 Minuten auch genügend fiktionale Momente. Die ganze Story um Michaels Aufstieg in der Gunst des Revier-Paten, das Austricksen der Polizei oder die skurrilen Zwischenfälle mit den wechselnden Liebhabern seiner Mutter haben mit dem realen Leben nun nicht mehr allzu viel zu tun. Das ist per se nichts Negatives, man sollte es nur erwähnen, falls der falsche Eindruck entsteht, „Knallhart“ sei ausschließlich ein dokumentarisch abgehauchter Ausflug in Berlins Brennpunkte.

So viel Raum die Schilderung des Milieus auch einnimmt, im Mittelpunkt steht Michaels Kampf um Selbstbehauptung und Selbstbestimmung. Dabei kämpft er nicht nur gegen die Banden an, sondern auch gegen den exzessiv gelebten Freiheitsdrang seiner Mutter, die ihn mit immer neuen Peinlichkeiten konfrontiert. In diesem Wirrwarr so etwas wie Halt und ein verlässliches Koordinatennetz zu finden, auch darum geht es in „Knallhart“. Michael findet dieses bei Crille und Matze, später auch bei Hamal. Da darf Buck dann gnadenlos den cineastischen Vorbildern Scorsese und de Niro huldigen. Ihre „Goodfellas“ und „Straßen der Bronx“ haben schwer auf dieses Werk abgefärbt. Ich betrachte das als eine liebevolle Hommage, wohlwissend, dass auch Buck weiß, dass er an Maaartys Klasse niemals heranreichen wird. Doch das macht nichts, weil auch eine mit viel Charme und Liebe zum Detail konzipierte Huldigung unterhalten und begeistern kann. Und das ist genau bei „Knallhart“ der Fall.

Schwächen erlaubt sich Buck mit der ein oder anderen deplaziert oder überflüssig erscheinenden Szene. Was sollte nur dieses Zickenduell zwischen Miriam und der neuen Flamme ihres Ex? Welchen Beitrag zur Dramaturgie liefert die Schlußeinstellung? Unausgegoren und von einigen Fehlentscheidungen beim finalen Schnitt zeugen solche Momente. Letztlich ist das aber zu verschmerzen, weil Buck erkannt hat, wo die eigentliche Stärke von „Knallhart“ liegt: nämlich bei den Darstellern. David Kroß mag zwar aussehen wie ein gelangweilter Milchbubi, im Laufe des Films wird er aber zum echten Sympathieträger an dem wir als Zuschauer in jeder Sekunde mit voller Aufmerksamekit hängen. Jenny Elvers-Elbertzhagen nervt abgesehen von der Schreibweise ihres Namens auch nicht weiter, sie spielt die überforderte Alleinerziehende sogar derart realistisch, dass man sich fragt, ob sie schon lebensnah für einen späteren Umzug mit Söhnchen Paul nach Neukölln trainiert. Eigentlich gebührt das Lob aber allen Schauspielern, deshalb will ich es dabei belassen, den echter als echt erscheinden Oktay Özdemir in der Rolle des klassischen Schurken gesondert zu erwähnen. Inwieweit er das lebt, was er spielt, will ich lieber nicht wissen.

In einem Moment der Ruhe, als die aggressive Rap-Musik mit ihren treibenden Bässen verstummt, erkennt Michael instinktiv beim Anblick eines Babys, dass er zu weit vom „rechten Weg“ abgekommen ist. Doch, und hier unterscheidet sich Bucks Film deutlich von vielen romantisierenden Ghetto-Trips, er zieht daraus nicht rechtzeitig die nötigen Konsequenzen. Erst als es zu spät ist, nachdem wir eine quälend lange Sequenz vorgesetzt bekommen, die einen fassungslos zurücklässt, ist Michael zur Rückkehr bereit. Es wird nicht mehr derselbe Michael sein.

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei kino.de.

Montag, Februar 27, 2006

Zuletzt gesehen - Stay





Stay USA 2005

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Das hätte ich Marc Forster nach seinem weinerlichen bräsigen "Finding Nerverland" nicht zugetraut. "Stay" ist ein eleganter, perfekt getimter Mysterythriller, der das Genre zwar nicht mit seiner Auflösung neu erfindet, aber bestens unterhält und eine spannende Story zu erzählen hat. Da ist es eher zweitrangig, dass man das Ende bereits recht früh ahnt, denn "Stay" ist im Unterschied zu "The Sixth Sense" kein Film, der mit dem Wissen um den Plot-Twist kollabiert. Dafür geht von der hypnotischen Optik und dem Score eine zu große Sogkraft aus. Fast wie in einem Traum bewegt sich auch der Zuschauer durch diese 99 Minuten. Den Darstellern, allen voran Ryan Gosling, gehört sicher ein Teil dieses künstlerischen Erfolgs zugesprochen. Wie auch der wunderbaren Kameraarbeit von Robert Schaefer. Weniger kryptisch als befürchtet, deutlich stringenter als gedacht. "Stay" lädt zum Verweilen zwischen zwei Welten und zum mehrmaligen Ansehen ein.

Sonntag, Februar 26, 2006

Syriana - Im Spinnennetz

Syriana USA 2005

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Kann Systemanalytik spannend sein? Und wie! Das belegt der neue Film des „Traffic“-Autors Stephen Gaghan mit George Clooney und Matt Damon in den Hauptrollen.

Wenn es einem als Zuschauer nach dem Kinobesuch von „Syriana“ irgendwie schwindelig und schummerig zu Mute ist, so ist das eingetreten, was Regisseur und Autor Stephen Gaghan mit seinem Film wohl auch erreichen wollte. Das komplizierte Namensgeflecht, die versteckten Intrigen und Verwicklungen, millionenschwere Deals und Verschwörungen, all das ist Teil eines großen Puzzles, was auf den Namen „Ölgeschäft“ lautet. In dieses Netz verstrickt sich auch der erfahrene CIA-Agent Bob Barnes (George Clooney). Erst als er schon in die Falle getappt ist, merkt Bob, dass sein alter Auftraggeber ein doppeltes Spiel mit ihm spielt. Ähnlich ergeht es auch dem ehrgeizigen Karriereanwalt Bennet Holiday (Jeffrey Wright). Eigentlich soll er die Fusion zweier Mineralölkonzerne untersuchen, doch je mehr er mit seinen Nachforschungen Unangenehmes zu Tage fördert, desto stärker wird er von den machtbewussten Interessengruppen unter Druck gesetzt. Der Energie-Analyst Bryan Woodman (Matt Damon) berät einen Prinzen (Alexander Siddig), der mit seinem Bruder um die Thron-Nachfolge kämpft. Und dann gibt es da noch den jungen pakistanischen Gastarbeiter Wasim (Mazhar Munir). Als er im Zuge eines Eigentümerwechsels an einem Ölfeld seinen Job verliert, fällt er radikalen Islamisten in die Hände, die ihn für ihre Sache zu instrumentalisieren wissen.

Es gibt den Tag und die Nacht, das Schwarz und das Weiß und irgendwie zwischen diesen beiden Polen liegt das kleine Fleckchen, an dem Beides zu Grau wird und die Grenzen verwischen. Nicht anders verhält es sich mit „Syriana“. Man könnte es sich leicht machen und in dem vom Schmiermittel der Korruption am Laufen gehaltenen Ölgeschäft mit eindeutigen Schuldzuweisungen und Gut/Böse-Schemata arbeiten. Das ergäbe einen langweiligen, belanglosen Film. Gaghan geht den schwierigeren und für uns Zuschauer fordernden Weg. In diesem Mikrokosmos verwandeln sich Freunde in Gegner, Verbündete werden zu Verrätern und alle bilden untereinander ein geschlossenes autarkes System. Wenn vordergründig Profitgier die Konzerne antreibt, hängen dahinter doch auch Interessen von nationaler Bedeutung. Politik und Wirtschaft scheinen nirgendwo so eng verzahnt wie hier. Weil die Versorgung mit dem schwarzen Gold essentiell für eine Volkswirtschaft ist, gibt es um diesen immer kleiner werdenden Kuchen ein tödliches, dreckiges Hauen und Stechen.

„Syriana“ führt uns direkt in dieses Labyrinth aus dem jeder Ausgang nur in ein noch größeres Chaos zu münden scheint. Stilistisch bereitet Gaghan die gegenseitigen Abhängigkeiten und Verflechtungen mittels vier sich kreuzender Geschichten auf. Irgendwann werden sich alle einmal begegnen, bewusst oder unbewusst. Und auch wenn wir nicht immer genau wissen, was da vor unseren Augen abläuft, erzeugt der Film mit der erzwungenen Beiläufigkeit seiner Erzählstruktur ein beklemmendes Gefühl. Alles geschieht so verständlich, so einstudiert. Längst gelten in diesem Business andere Gesetze und Interessen. Skrupel wären dabei nur hinderlich. Äußerst distanziert, fast unbeteiligt nähert sich Gaghan den vier Storylinien. Mit einer nervösen, wackligen Handkamera erzeugt Roger Elswit eine kühle Nähe, die paradoxerweise nicht berührt, sondern zur fast schon sachlichen Analyse des zuvor Gesehenen einlädt. Nur selten steuert Gaghan das emotionale Zentrum in uns an, dann jedoch erwischt und schockiert „Syriana“ unmittelbar. Fast so als wäre beim schnarchigen Telekolleg Chemie ein Reagenzglas explodiert.

Hintergrund und Ausgangspunkt für den Film stellt der spektakuläre Enthüllungsbericht „See No Evil“ des ehemaligen CIA-Agenten Robert Baer dar. Ein Insider also, der weiß wovon er schreibt. Und gerade weil man nie das Gefühl hat hier werde etwas künstlich für die große Leinwand aufgeblasen, erschrecken die sezierten Zusammenhänge. Eigentlich ist es uns egal, woher das Zeug kommt, mit dem wir unsere Wohnungen heizen und unsere Autos betanken. Es sollte uns aber nicht egal sein, das ist Gaghans Punkt. Dazu illustriert er das Korruptionsgebilde mit einer Unmenge an Details, Namen und Ortswechsel. Das hat etwas von einer geerdeten Ausgabe eines Spionagethrillers, der Action mit einer spröden Aneinanderreihung von mehr oder weniger konspirativen Treffen verbindet. Das ist mitunter mühselig und anstrengend nachzuvollziehen, aber einfache Antworten auf eine solch komplexe Welt können nur Demagogen versprechen. Gaghans zeigte bereits mit seinem Drehbuch zu dem ähnlich strukturierten „Traffic“, wie das Zerlegen eines großen Puzzles in episodenhafte Einzelteile gelingen kann. Das Ergebnis hier ist also keinesfalls ein Zufallsprodukt.

Vermarktet wird „Syriana“ nicht über die Story, sondern, da steht der Film dann wieder ganz in der Tradition der großen Blockbuster, über die Namen „Clooney“ und „Damon“. Ein kleiner Trick, bedenkt man, wie wenig Gaghans Werk über das Spiel einzelner Darsteller funktioniert. Die Auszeichnung George Clooneys als „Best Supporting Actor“ mit dem Golden Globe und die Oscar-Nominierung müssten stellvertretend für das ganze Ensemble gelten. Hochkonzentriert und präzise zeigen auch Christopher Plummer, William Hurt und Chris Cooper in wichtigen Nebenrollen ihr Können. „Syriana“ kann als das gelungene Experiment betrachtet werden, den Spruch „Evertything is Connected“ zu einem zweistündigen spannenden Kinoextrakt zu filtern.

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei evolver.

Oscars 2006 - Das Rennen ist eröffnet V

Bester Hauptdarsteller:

Oscars-Wahl:Philip Seymour Hoffman für Capote (2005)
Meine Wahl: Terrence Howard für Hustle & Flow (2005)
Heath Ledger für Brokeback Mountain (2005)
Joaquin Phoenix für Walk the Line (2005)
David Strathairn für Good Night, and Good Luck. (2005)

Alles läuft bei den männlichen Diven aus ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix hinaus. Das letzterer eine amerikansiche Legende verkörpert, von allen bewundert und geliebt, dürfte ihm vielleicht osgar einen kleinen Vorteil verschaffen. Außerdem spielt er wirklich groß auf, singt sogar selber (täuschend echt seine tiefe Stimmlage) und liefert sich im Duell mit Reese Witherspoon starke Gefühlsmomente, die die Academy einfach liebt. Ich würde es ihm gönnen. Für Philip Seymour Hoffman sprechen die Siege bei der Screen Actors Guild, die traditionell auch die größte Fraktion der Oscar-Wähler stellt. Was ich bisher aus "Capote" gesehen haben, zeigt wie verblüffend das "Chamäleon" Hoffman den exzentrischen Capote imitiert, ihn eigentlich lebt. Alleine schon dieser arrogante Gestus und seine fieselnde hohe Stimme. Letztlich könnte er auf der Ziellinie an Phoenix vorbeiziehen, wenn die Jury nicht das Homosexuellen-Thema scheut. Meine Wahl fiele allerdings auf Terrence Howard für seinen Auftritt als zweifelnder Pimp in "Hustle & Flow", ein Film wie ein einzig langer Rap, der sich von Szene zu Szene treiben lässt und dabei wunderbare Momente am Fließband aus dem Ärmel schüttelt. Selbst einem Rap-Hasser wird der Sound in "H&F" gefallen und daran hat Terrence Howard einen großen Anteil. Go with the flow, man!

Beste Hauptdarstellerin:

Judi Dench für Mrs. Henderson Presents (2005)
Felicity Huffman für Transamerica (2005)
Keira Knightley für Pride & Prejudice (2005)
Charlize Theron für North Country (2005)
Oscars-Wahl: Reese Witherspoon für Walk the Line (2005)

Mehr als vorentscheiden ist dagegen, wer am 5. März einen Oscar als beste Hauptdarstellerin mit nach Hause nehmen wird. "Darling" Reese Witherspoon ist die perfekte June Carter und gibt damit die beste Leistung ihrer Karriere ab. Und gegen den schon starken Phoenix kommt sie auch an, was nur wenigen Schauspielerinnen gelungen wäre. Felicity Huffman hat das Pech in einem zu kleinem Film mitzuspielen, die große PR-Maschine läuft für "Walk the Line", "Transamerica" muss sich da hinten anstellen. Charlize Theron kann zufrieden sein, überhaupt nominiert worden zu sein. Hollywood sieht es halt gern, wenn sich eine Schönheit gerne für eine Rolle hässlich macht. Ich henthalte mich hier mit einem persönlichen Votum, habe ich doch nur einen der nomminierten Filme ("Walk the Line") gesehen.

Freitag, Februar 24, 2006

Oscars 2006 - Das Rennen ist eröffnet IV

Bester animierter Film:

Corpse Bride (2005) - Tim Burton, Mike Johnson
Hauru no ugoku shiro (2004) - Hayao Miyazaki
Meine Wahl/Oscars-Wahl: Wallace & Gromit in The Curse of the Were-Rabbit (2005) - Steve Box, Nick Park

Eine eindeutige Sache. Den Knuddelknetfiguren haben auch die Leichengesellen des Tim Burton nichts entgegenzusetzen. Würde dieser gewinnen, wäre das wohl nur als das schlechte Gewissen Hollywoods zu werten, da sein bereits leer ausgegangener "Nightmare before Christmas" eigentlich der bessere Film war (mit einem schmissigeren Score von Danny Elfman). Hayao Miyazaki ist zwar ein Liebling der Academy, gegen "Wallace & Gromit" dürfte aber auch er den kürzeren ziehen.

Bester fremdsprachiger Film:

Bestia nel cuore, La (2005) - Cristina Comencini (Italien)
Joyeux Noël (2005) - Christian Carion (Frankreich)
Oscars-Wahl: Paradise Now (2005) - Hany Abu-Assad (Palästina)
Meine Wahl: Sophie Scholl - Die letzten Tage (2005) - Marc Rothemund (Deutschland)
Tsotsi (2005) - Gavin Hood (Südafrika)

Ganz unpatriotisch sage ich mal, das ich "Sophie Scholl" sehr gerne als Sieger in dieser Kategorie sehen würde. Der Film ist beklemmend, hochdramatisch und die Rolle besonders von Julia Jentsch hervoragend gespielt worden. Nicht umsonst habe ich ihn bereits unter meine Top 10 für 2005 aufgeführt. Ein karges Kammerspoiel, was aber gerade deshlab große Emotionen freisetzt. Dennoch wird die Wahl der Academy auf "Paradise Now" fallen, ein eindeutig poltitisches Signal Richtung Naher Osten, was schade ist. Denn der Film des Palästinensers Abu-Assad ist zwar sehenswert aber auch äußerst holprig und teils sehr didaktisch erzählt. Die übrigen Filme dürften hier keine Rolle spielen.

Beste Dokumentation:

Meine Wahl: Darwin's Nightmare (2004) - Hubert Sauper
Enron: The Smartest Guys in the Room (2005) - Alex Gibney, Jason Kliot
Oscars-Wahl: Marche de l'empereur, La (2005) - Luc Jacquet, Yves Darondeau
Murderball (2005) - Henry Alex Rubin, Dana Adam Shapiro
Street Fight (2005) - Marshall Curry

Eigentlich müsste man darüber dieksutieren, ob "Die Reise der Pinguine" überhaupt ein Dokumentarfilm ist, oder vielmehr ein schön anzusehendes Märchen. Da aber schon Michael Moore für seinen "Bowling for Columbine" ausgezeichnet wurde, ist klar, dass hier Aufmerksamkeit mehr als die Qualität des Filmemachers entscheidet. Und weil die Pinguine doch soooo putzig sind, werden sie den Goldjungen mit nach Hause nehmen. Keine Frage, dass Hubert Sauper mit "Darwins Albtraum" ein dokumentarisch viel beeindruckendes Porträt gelungen ist.

Donnerstag, Februar 23, 2006

Elementarteilchen - Die Einsamkeit in jedem

Elementarteilchen D 2005

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Bruno (Moritz Bleibtreu) und Michael (Christian Ulmen) haben, außer der Tatsache, daß sie zufälligerweise Halbbrüder sind, nicht sehr viel miteinander gemein. Der eine, Bruno, ist ein sexfixierter frustrierter Enddreißiger, der andere, Michael, forscht in seinem Beruf als Molekularbiologe an der Methode der Reproduzierbarkeit des menschlichen Erbgutes ohne sexuellen Kontakt. Beide wuchsen sie getrennt voneinander bei ihren Großeltern auf, weil ihre Mutter (Nina Hoss) es bevorzugte, als Freie-Liebe-propagierende Hippie-Braut ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Bevor Michael nach Irland abreist, wo er nach drei Jahren Unterbrechung seine Forschungsarbeiten wieder aufnehmen möchte, besucht er seine erste große Jugendliebe Annabelle (Franka Potente). Obwohl er bereits fast 40 ist, hatte er noch nie Sex, geschweige denn eine Beziehung mit einer Frau. Er spürt, daß Annabelle seine letzte Chance auf ein glückliches Leben ist. Von solchen Gedanken wird auch Bruno geplagt. Nachdem seine Frau ihn verlassen hat, sucht er auf Sexpartys gleichzeitig die schnelle Befriedigung und die perfekte Partnerin. Schließlich begegnet er Christiane (Martina Gedeck). Mit ihr soll alles anders werden.

Oskar Roehler zeigte zuletzt mit "Agnes und seine Brüder" wie es gelingen kann, die Balance zwischen absurder Komik und tiefster Melancholie zu halten. Und auch in "Elementarteilchen" ist diese ihm ganz eigene Handschrift zu spüren, und das in jeder Szene. Es ist unerheblich, ob Roehler der schwierigen, eigentlich unverfilmbaren, Vorlage gerecht wird. Entscheidend ist, ob "Elementarteilchen - der Film" als Film funktioniert oder nicht. Und das tut er auf eine sehr berührende, ehrliche Art. Wir erleben, wie zwei Menschen fast krampfhaft nach dem ihnen eigentlich doch zustehenden Stück Glück suchen, und es, wenn es ihnen dann tatsächlich in Gestalt einer Frau einmal erscheint, aus tiefsten unverarbeiteten Verlustängsten regelrecht einzementieren wollen. In den Hintergrund tritt dabei der von Houellebecq thematisierte Generationenkonflikt mit der Welt der freiheitsliebenden, egoistischen 68ern. Wenn Roehlers Film sich eher im Vorbeigehen auf dieses Sujet einläßt, dann wirken die gezeigten "Hippie-Get-Togethers" eher wie schlechte Werbeklischees, womit sie zweifellos die schwächste Komponente dieser Verfilmung darstellen.

Durch die mit Hilfe von Bruno und Michael illustrierten zwei unterschiedlichen Perspektiven auf das heutzutage zu Tode diskutierte Thema Sex baut Roehlers Film neben der eigentlichen Handlung zugleich eine doppelte Spannung in der Gedankenwelt des Zuschauers auf. So sehr wir uns auch für das Schicksal der Brüder interessieren, ihr jeweiliger Umgang und Blick auf das andere Geschlecht erlaubt tiefe Rückschlüsse auf den Zustand unserer Gesellschaft. Während die einen die Flucht vor der nicht aufzuhaltenden Übersexualisierung des Alltags ergreifen, leben andere nur noch für die nächste schnelle Nummer. Beide Wege enden in einer Sackgasse, sprich in der eigenen Isolation. Fast selbstverständlich verzichtet "Elementarteilchen" auf die explizite Darstellung der pornographischen Passagen aus Houellebecqs Vorlage. Immerhin wollten die Produzenten Bernd Eichinger und Oliver Berben einen Publikumserfolg und kein kommerzielles Waterloo erschaffen. Einige mag das Domestizierte und Gemäßigte des Films enttäuschen, für das Verständnis der Protagonisten und ihrer Gefühlswelt ist es jedoch keineswegs notwendig, zunächst einen vom Boulevardjournalismus inszenierten Aufschrei zu provozieren.

Noch nie hat man Moritz Bleibtreu derart beeindruckend aufspielen sehen wie hier. Selbst der denkwürdige strapaziöse Auftritt in "Das Experiment" verblaßt hinter seiner Darstellung des depressiven, sexsüchtigen Bruno. Natürlich ist das für einen Schauspieler eine äußerst dankbare Rolle, durchleidet Bruno doch gleich mehrere Höllenfahrten. Aber auch das will gekonnt und ohne lächerlich wirkendes Overacting transportiert werden. Bleibtreu verfügt gleichsam in den ruhigen, nachdenklichen Momenten über eine Leinwandpräsenz, die alles und jeden überstrahlt. Einzig Martina Gedeck kommt dagegen noch an. Sie gibt eine sehr ambivalente Persönlichkeit. Nach außen stark, fordernd und offen, innerlich unsicher, fragend, leer. Der zweite Handlungsstrang um Michaels zaghafte Annäherung an seine Jugendliebe Annabelle und die Wiederaufnahme seiner Forschungsarbeiten fällt gegen die Verdichtung von soviel Schmerzen und Leid trotz der durchaus vorhandenen tragischen Aspekte etwas ab. Somit verwundert es nicht, daß Ulmen und Potente die meiste Zeit im Schatten ihrer Kollegen agieren.

Kurz bevor "Elementarteilchen" schließlich in die große Depression abgleitet, die in anbetracht von Houellebecqs Zynismus für nur wenige noch genießbar wäre, zieht Roehler die Notbremse. Gerade in dem Moment, als der Film einen zerstörerischen Sog aufbaut, der in abgemildeter Form an Darren Aronofskys "Requiem für a Dream" erinnert, zaubert er unprätentiös eine hoffnungsstiftende, aber keinesfalls kitschige Auflösung herbei, die sich bis in die letzte Texteinblendung niederschlägt. Bei aller Tragik, allem Schlechten, Verkommenen und Unglück auf dieser Welt ist es vielleicht doch noch möglich, in der Zeit, die uns gegeben ist, ein glückliches, erfülltes Leben führen zu können.

Diese Kritik ist zuerst erschienen auf evolver.

Mittwoch, Februar 22, 2006

Dreamer - Schlaf Kindlein schlaf!

Dreamer- Ein Traum wird wahr USA 2005

+1/2

Kalkuliert und uninspiriert wirkt der neueste Versuch aus Hollywood familienkompatible Unterhaltung mit einem süßen Mädchen und ihrem putzigen Pferd inszenieren zu wollen. Was dabei herausgekommen ist, kann man unter meiner Besprechung bei critic.de nachlesen. Gute Nacht!

Dienstag, Februar 21, 2006

Oscars 2006 - Das Rennen ist eröffnet III

Beste Kamera:

Meine Wahl: Batman Begins (2005) - Wally Pfister
Oscars-Wahl: Brokeback Mountain (2005) - Rodrigo Prieto
Good Night, and Good Luck. (2005) - Robert Elswit
Memoirs of a Geisha (2005) - Dion Beebe
The New World (2005) - Emmanuel Lubezki

Da ich von den fünf Nominierten nur zwei ("Die Geisha" und "Batman Begins") beurteilen kann, fällt meine Wahl auf Wally Pfister. Er zeigt Gotham City so, wie das noch in keinem Batman gelungen ist. So düster, so kalt und lebensfeindlich. Passend zur Idee von Regisseur Christopher Nolan, der einen neuen Mythos kreieren wollte. Dion Beebe fängt wie schon beim Oscar-nomminierten "Chicago" zwar grandiose Bilder und Farbspiele ein, allerdings lässt sich zwischen seiner Leistung und der eigentlichen Story keine so direkte inhaltliche Linie ziehen. Auch sieht man sich irgendwann an der Postkarten-Idylle satt. Robert Elswit drehte "Good Night, and Good Luck" stilecht in schwarz-weiß. Das ist immer gerne gesehen, zumal der Film womöglich sonst leer ausgehen wird, könnte die Chance auf einen "Trost-Oscar" gar nicht so klein sein. Dennoch dürfte die Mehrheit der Academy lieber gediegene Landschaften bevorzugen (siehe auch der Sieg von John Toll für "Legenden der Leidenschaft") und den Preis Rodrigo Prieto zusprechen.

Bester Schnitt:

Cinderella Man (2005) - Daniel P. Hanley, Mike Hill
The Constant Gardener (2005) - Claire Simpson
Crash (2004) - Hughes Winborne
Oscars-Wahl/Meine Wahl: Munich (2005) - Michael Kahn
Walk the Line (2005) - Michael McCusker

Schnitt ist einer der Kategorien, die zu unrecht immer ein Schattendasein fristet, denn vom Timing hängt otfmals ab, ob eine Szene funktioniert oder nicht. Mmit seinen zeitlichen Sprüngen und wechselnden Rhythmen ist "Der ewige Gärtner" ein heißer Kandidat auf den Sieg. Ebenso ist die Leistung von Michael Kahn für "München" auszeichnenswert. Es dürfte wohl ein enges Rennen zwischen diesen beiden werden. Oder der "Cinderella Man" sprintet an der Ziellinie noch an beiden Kontrahenten vorbei. Ich würde Michael Kahn gerne als Gewinner auf der Bühne wiedersehen.

Zuletzt gesehen - Im Dutzend billiger 2

+

Nicht nur der Titel ist einfältig und billig, auch der Film ist es. Steve Martin kopiert das schon halbgare Konzept des Vorgängers und macht wieder den Affen für die Rasselbande. Dazu gibts garantiert humorfreien Slapstick kombiniert mit einer Heilen Welt-Familienmessage. Disney hätte es nicht besser machen können. Eugene Levy ist ein kleiner Lichtblick in diesem ganzen Schlamassel, genauso wie Carmen Electra als rein optischer Blickfang. Kalkuliertes Abkassieren an der Kinokasse nenne ich sowas, eine Unverschämtheit. Da waren selbst "American Pie" und Konsorten noch niveauvoller (ok, vielleicht doch nicht *g*). Maximal 20 %, weil ich den Steve doch seit ewigen "L.A. Story"-Zeiten irgendwie mag.

Sonntag, Februar 19, 2006

Lord of War - Das Ringen nach Luft







Lord of War USA 2005

+++1/2

Die Welt ist furchtbar, schlecht und ungerecht. Wer da jetzt noch widersprechen will, hat höchstwahrscheinlich noch nicht Andrew Niccols „Lord of War“ gesehen. Auch wenn der Film keine dokumentarische Exaktheit für sich beansprucht, ist der Fall des zwielichtigen Waffenhändlers keinesfalls der Phantasie eines Filmemachers entsprungen. In weiten Teilen orientierte sich Niccol an der Biographie des Tadschiken Viktor Bout. 1992 stieg dieser in den Waffenhandel ein. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gierten viele korrumpierbare Generäle auf einen lukrativen Nebenverdienst, in dem sie Waffen, Munition und ganze Panzer aus Armeebständen unter der Hand verkauften. Abnehmer waren gerissene Geschäftsleute wie Bout, die das Material vornehmlich an afrikansiche Diktatoren weiterverscherbelten. Bout wird seit 2002 von Interpol gesucht. Zurzeit soll der Mann, dem u.a. Kontakte zum Terrornetzwerk al-Qaida nachgesagt werden, in Russland untergetaucht sein.

In „Lord of War“ verkörpert Hollywood-Star Nicolas Cage den Exil-Ukrainer Yuri Orlov, der das Geschäft mit der „grauen Ware“ perfektioniert hat. Immer wieder trickst er seine Verfolger wie den Interpol-Agenten Jack Valentine (Ethan Hawke) aus. Er ist nicht zu fassen, obwohl jeder genau weiß, dass Yuri illegale Waffentransporte rund um den Globus organisiert. Das Geheimnis seines Erfolgs: gute Kontakte bis in die höchsten Führungsebenen von Militär und Politik. Nur seine Frau, die gescheiterte Schauspielerin Ava Fontaine (Bridget Moynahan), will die blutige Wahrheit hinter einem Leben in Luxus nicht wahr haben.

Von der ersten Einstellung und Cages Frontalmonolog in Richtung des Publikums schlägt „Lord of War“ einen bitterbösen, zynischen Ton an, der keinen Zweifel aufkommen läst, wer in diesem schmutzigen Spiel am Ende als Sieger das Feld verlassen wird. Natürlich siegen die „Good Guys“ nur in Wohlfühlfilmchen ohne Realitätsbezug, in Wirklichkeit kommen sie, analog zu dem Duell zwischen Hase und Igel, immer einen Schritt zu spät. Den entscheidenden Schritt. Und auch eine alte Weisheit des Kinos und der Kunst im Allgemeinen bestätigt Niccols Anklage an den allzu naiven Gutmenschen: Der Böse besitzt die weitaus interressantere Persönlichkeit. Es grenzt fast schon an die Wirkung einer doppelten Dosis Valium, wie langweilig Ethan Hawke hier als ehrgeiziger Interpol-Agent auf den Plan tritt. Je mehr er Yuri vermeintlich unter Druck setzt, desto kreativer wird dieser die sorgsam angezogenen Daumenschrauben wieder lösen können bis ihm am Ende dann sogar….Mehr sei an dieser Stelle nicht verraten. Das lässt sich nur im Kino erfahren und erleben.

Wenn Niccol seinen cleveren Schurken in Nadelstreifen bei den unzähligen Reisen quer durch Russland und Afrika begleitet, unterlegt er dies gerne mit Feel Good-Musik oder angenehmen Ethnoklängen. Perfide, bedenkt man, wie im Hintergrund die Despoten und Sadisten die eigene Bevölkerung als Geisel nehmen und nach Belieben unschuldige Menschen hinrichten lassen. Eigentlich sagt uns der gesunde Menschenverstand, dass diese Unrechtsregime die Waffen nicht zur Ausstattung eines Pazifismus-Museums benötigen, aber dennoch treffen uns die Bilder, in denen wir mitansehen müssen, wie marodierenden Milizen Frauen und Kinder massakrieren. Yuris dem Drogenwahn verfallender jüngerer Bruder Vitaly (Jared Leto) fleht ihn in einem seiner wenigen klaren Momente an, das Leben dieser Menschen gegen die Profite aus dem Waffenhandel einzutauschen. Doch Yuri, entgegen unseren Erwartungen, knickt nicht ein. Wenn er diesen Job nicht macht, dann macht ihn halt ein anderer. So nüchtern kann man diese Angelegneheit betrachten. Und dann ist es halt besser, wenn man selber die goldene Ernte einfährt.

Die Vermischung von tief schwarzem Humor, meistens verpackt in genialen Onelinern, und schockierenden Bildern von menschlichem Leid, verstümmelten Kindern und den heruntergekommensten Stadtvierteln in irgendwelchen Dritte Welt-„Hauptstädten“ erzeugt ein beklemmendes Gefühl, das zwischen Entsetzen und Fassungslosigkeit oszilliert. Ganz ähnlich erging es mir bei Hubert Saupers Dokumentation „Darwins Albtraum“ (für den Oscar nominiert). Verdrängen nützt nichts mehr, wenn solche Bilder die Netzhaut erreichen. Niccol, der auch das Drehbuch verfasste, vollführt mit „Lord of War“ einen Tanz auf der Rasierklinge. Sich mit (schwarzem) Humor einem Thema wie dem illegalen Waffenschmuggel zu nähern und von der Skrupellosigkeit der wahren Strippenzieher zu berichten, läuft Gefahr, damit den falschen Ton zu treffen. Doch hier hat der Humor auch eine unterstützende Funktion. Er potentiert die Absurditäten dieser Machenschaften, weil er eine zu direkte Anteilnahme an Yuris Gefühlswelt nicht zulässt und so unserer Ratio mehr Raum zugesteht, als dies in einem klassischen Drama zum gleichen Thema der Fall wäre. Lachen befreit, lautet eine Volksweisheit, hier schnürt das Lachen ein, was richtig ist.

Erstaunlich welche Bandbreite brisanter Themen Andrew Niccol immer wieder in seinen Filmen verpackt. Angefangen von dem Recht auf Selbstbestimmung in Zeiten der totalen Medialisierung („Die Truman Show“, als Drehbuchautor) über die Frage was uns Menschen noch von einer computergenerierten Pixelmasse unterscheidet („S1m0ne“) bis hin zu einer erschreckend realen von der Gentechnik beherrschten Zukunftsvision („Gattaca“), deutlich wird, Niccol ist ein wahrer Meister seines Fachs. Mit „Lord of War“ hat er uns ein neues beängstigendes Kunstwerk auf die Leinwand gezaubert.

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei kino.de.

Oscars 2006 - Das Rennen ist eröffnet II

Bestes Original-Drehbuch:

Oscars-Wahl: Crash (2004) - Paul Haggis, Robert Moresco
Good Night, and Good Luck. (2005) - George Clooney, Grant Heslov
Meine Wahl: Match Point (2005) - Woody Allen
The Squid and the Whale (2005) - Noah Baumbach
Syriana (2005) - Stephen Gaghan

Der einzige, der einen Sieg von "Crash" verhindern könnte, wäre Altmeister und neuerdings New York-Flüchtling Woody Allen. Da sein großartiger "Match Point" nur eine Nominierung erhielt, vollkommen zu unrecht denn wo bleibt z.B. Scarlett Johannson?, könnte die große Allen-Fraktion unter den Academy-Mitgliedern versucht sein, ihre Empörung mit einer "Jetzt erst recht"-Haltung hier zu demonstrieren. Für Paul Haggis und "Crash" sprechen die vielen Nominierungen, was ein Zeichen dafür ist, dass der Film neben "Brokbeback Mountain" zu den großen Gewinnern des Abends gehören könnte. Ich tippe auf Haggis, wobei ich mir einen Sieg Allens wünschen würde. George Clooney und Grant Heslov dürften auch hier chancenlos sein, gleiches gilt für Stephen Gaghans engagierten "Syriana".


Bestes adaptiertes Drehbuch:

Oscars-Wahl: Brokeback Mountain (2005) - Larry McMurtry, Diana Ossana
Capote (2005) - Dan Futterman
The Constant Gardener (2005) - Jeffrey Caine
A History of Violence (2005) - Josh Olson
Meine Wahl: Munich (2005) - Tony Kushner, Eric Roth

Langweilig! Der Sieg von Larry McMurtry und Diana Ossana ist spätestens nach dem Gewinn des Preises bei der Vereiningung der Drehbuchautoren in trockenen Tüchern. Außerdem muß doch "Brokeback Mountain" zeigen, dass er nicht umsonst achtmal nominiert wurde. Wenn es so etwas wie einen Herausforderer in ganz ganz weiter Entfernung geben könnte, wäre das wohl am ehesten Dan Futterman für "Capote". Meine Wahl fiele auf Tony Kushner und Eric Roth für ihr couragiertes unbequemes Skript zu Spielbergs "München".

Freitag, Februar 17, 2006

Aeon Flux - Ausflug ins Playmobil-Land

















Aeon Flux USA 2005

+1/2

Seitdem ein todbringender Virus einst 99 % aller Menschen ausrottete, lebt im 25. Jahrhundert der überschaubare Rest der Menschheit in einer abgeschlossenen Sphärenstadt namens Bregna. Und das bereits seit über 400 Jahren. Unter dem Regime der „Goodchilds“ herrscht von außen betrachtet die reine Idylle und Harmonie. Doch in Wirklichkeit erduldet die Bevölkerung die Repressalien einer totalitären Führungskaste, begründet von Trevor Goodchild (Marton Csokas), einem ehrgeizigen Wissenschaftler und selbsternannten Weltverbesserer. Als Folge dieser Diktatur formiert sich ein organisierter Widerstand. Die schöne Aeon Flux (Charlize Theron) gehört zur Gruppe der „Monicans“, die den gewaltsamen Sturz der Machthaber planen. Im Vertrauen auf ihre einzigartigen körperlichen Fähigkeiten erhält sie den Auftrag, Trevor Goodchild zu töten.

Aldous Huxley hätte seine wahre Freude an dieser „Brave New World“. „Aeon Flux“ wärmt sämtliche Zutaten des alten Engländers wieder in einem großen Action-Schnellschuss auf. Allerdings nur lauwarm. Fast so, als wollte der Film all den Kritikern neue Nahrung geben, die nicht müde werden zu behaupten, es gebe keine intelligenten Comic-Adaptionen. Dabei hat erst im letzten Sommer Christopher Nolans „Batman Begins“ das genaue Gegenteil bereits beweisen. „Aeon Flux“ basiert auf der gleichnamigen seit Mitte der 90er ausgestrahlten MTV-Serie von Peter Chung. Also noch zu Zeiten der Vor-„Matrix“-Ära. Aber erst dessen Erfolg und die Verfügbarkeit vergleichsweise billiger Special Effects sorgten dafür, dass der Kinozuschauer seitdem von einer wahren Flut futuristischer Superhelden-Auftritte heimgesucht wurde. Kaum hatten wir „Elektra“ und das „Catwoman“-Desaster vergessen, haut uns Paramount sexy Charlize im engen schwarzen Korsett um die Ohren.

Nett anzusehen ist das alles schon, aber auf Dauer auch sehr ermüdend. Die filigranen an Ninjas erinnernden Sprünge und Reflexe, das Hin- und Herrennen, Anschleichen und wilde Ballern im 360°-Rundumschlag produziert einen Film, der gefühlte drei Stunden dauert. Dabei ist nach 90 Minuten alles vorbei und der Abspann rollt über die Leinwand. „Aeon Flux“ stirbt ganz einfach an der Monotonie seiner durchgestylten Optik und dem redundanten Wechsel zwischen Actionfirlefanz im Spielkonsolenlook und bemüht wirkenden dramatischen Unterbau. Wie ein Film trotz offenkundig seichter Handlung funktionieren kann, hätte sich Regisseurin Karyn Kusama lieber vorher einmal bei Ryuhei Kitamura und seiner „Azumi“ abgucken sollen. So bleibt es bei dem ehrenwerten Versuch, im männerdominierten SF-Genre einen weiblichen Gegenpol zu installieren.

Wenn die Action einmal Pause hat, wird es recht schnell peinlich. Die Dialoge, oder besser die Vorstellungen von Dialogen, eignen sich mit ihren schlichten Weisheiten und Phrasen eher fürs Poesiealbum als in einen sich so „erwachsen“ anbiedernden Zukunftstrip. „This is a war, and people on all sides die” gehört da noch einem der erträglicheren Drehbucheinfälle. Wohl aus Angst, von diesem Ausflug ins Playmobil-Land würde beim Blick hinter die sterilen Fassaden nicht allzu viel übrig bleiben, klatschten die Autoren Hay und Manfredi eine vermeintlich provokative Wendung an das Ende des Schieß- und Spring-Marathons. Übervater Goodchild darf Aeon ein Geheimnis anvertrauen, was bei all der Geheimniskrämerei nun wirklich nicht überrascht. Es deckt vielmehr unfreiwillig auf, welches Potential in diesem „Gattaca“ auf Speed eigentlich steckt.

Die Frage, warum Charlize Theron bei der Sache mitmacht, stellt sich nicht. Immerhin hat die Oscar-Preisträgerin mit Halle Berry eine prominente Vorreiterin in Sachen eng anliegende Latex-Fetzen. Außerdem startet nahezu zeitgleich „Kaltes Land“, Therons offizielle Heimkehr ins Charakterfach, in unseren Kinos. Spätestens dann redet über diesen Ausrutscher niemand mehr. Was bleibt, ist ein Film, der sich so anfühlt, wie die Gesellschaft, die er beschreibt: Auf Hochglanz poliert und dabei so oberflächlich.

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei kino.de.

Oscars 2006 - Das Rennen ist eröffnet I

Bester Nebendarsteller:

Oscars-Wahl: George Clooney für Syriana (2005)
Meine Wahl: Matt Dillon für Crash (2004)
Paul Giamatti für Cinderella Man (2005)
Jake Gyllenhaal für Brokeback Mountain (2005)
William Hurt für A History of Violence (2005)

Nur noch knappe drei Wochen und schon heißt es wieder: "It's Oscar Time!" auch wenn dieses Jahr nicht Billy Crystal durch die Show führen wird. Sei's drum, ein Ereignis wird der Abend auf alle Fälle und natürlich wird das Ganze auch wieder live vor dem heimischen TV in geselliger Runde verfolgt. Bis dahin möchte ich mich an einer Oscar-Prognose versuchen und auch etwas zu meinen Favoriten schreiben, soweit ich die nommierten Filme denn schon gesehen habe. Den Anfang machen heute die beiden Kategorien der "Supporting Actors", was netter als der deutsche Ausdruck der "Nebendarsteller" klingt.

Bei den Jungs läuft es mit ziemliche Sicherheit auf George Clooney für "Syriana" hinaus, schon weil die Academy Clooney nicht ohne Goldjungen nach Hause schicken will. Und für "Good Night, and Good Luck" wird er wohl kaum einen erhalten. Meine Wahl fiele in anbetracht der drei mir bekannten Filme auf Matt Dillon für seinen Auftritt als rassistischer Polizist in "Crash". In einem insgesamt tollen Ensemble ragen er und Michael Pena, der nicht bedacht wurde, heraus. Gewisse Außenseiterchancen räume ich ihm auch nach seinem Golden Globe-Gewinn ein. Bei William Hurt wundere ich mich schon über die Nominierung, fand ich seine Leistung eher deplaziert belustigend, als oscarverdächtig. Hier schlägt wohl das schlechte Gewissen der Academy durch, die David Cronenbergs hochgelobten "A History of Violence" mit zwei Nominierungen abspeiste.

Beste Nebendarstellerin:

Amy Adams für Junebug (2005)
Catherine Keener für Capote (2005)
Meine Wahl: Frances McDormand für North Country (2005)
Oscars-Wahl: Rachel Weisz für The Constant Gardener (2005)
Michelle Williams für Brokeback Mountain (2005)

Eine der wenigen Kategorien, in denen "Brokeback Mountain" definitv nicht als Sieger das Feld verlassen wird. Eigentlich verwunderlich, da dieser doch ein reinrassiger Schauspielfilm ist. Aber gegen Rachel Weisz und die für sie grassierende Mundpropaganda in Hollywood hat Michelle Williams keine Chance. Ich mochte Weisz' Leistung in "Der ewige Gärtner" hat sie doch im Zusammenspiel mit Ralph Fiennes einige sehr starke und intime Szenen. Ungesehen wäre aber Frances McDormand meine Favoritin, weil sie damit auf "Fargo"-Territorium zurückkehren soll, womit sie schon bei mir gewonnen hat. Jesses! Catherine Keener und Amy Adams dürften wohl chancenlos sein. Adams kann sich getreu dem olympischen Mottot freuen, überhaupt nominiert worden zu sein. Der kleine "Junebug" ist von den Oscars, von dieser Kategorie einmal abgesehen, komplett übersehen worden.

Selbstbeweihräucherung, ganz ungezwungen

Da kommt so eine Naomi Watts nicht unähnliche Userin auf die Idee in der kino.de-Community eine Wahl zum "Kritiker des Jahres" zu starten und schon haben wir das Schlamassel. In einer teils sehr amüsanten, teils etwas zähen Wahlphase entschieden sich die meisten der teilnehmenden User für meine Person. Ja, Ehre wem Ehre gebührt! Ok, bevor einem beim Lesen dieser Zeilen schlecht wird, wollte ich nur fragen, ob die Schecks alle schon angekommen sind? *g*

Ansonsten lastet auf mir jetzt die Bürde des Titelverteidigers. Da kann es 2006 eigentlich nur abwärts gehen, ohje...

Kein Kommentar! Ein Willkommensgruß an einen User, der weiß, dass er damit gemeint ist! Posted by Picasa

Dienstag, Februar 14, 2006


Bill (verdeckt) und ich. Posted by Picasa

Montag, Februar 13, 2006

Trailerfundgrube - Capote & The New World

Beide Filme starten am 2. März in Deutschland!

"Capote" könnte für Phillip Seymour Hoffman einen Oscar als "Bester Hauptdarsteller" einbringen. Zudem ist der Film weitere viermal (u.a. als "Bester Film") nominiert. Der Trailer (Windows Media Player benötigt) macht Lust auf eine womöglich sehr ungewöhnliche spannende Biographie.

"The New World" ist das neue Epos von Terrence Malick. Der dreht bekanntlich durchschnittlich alle zehn Jahre einen Film, ist also alles andere als ein Workaholic. Dafür haben diese meistens eine visuelle Kraft, die ihresgleichen sucht.

Samstag, Februar 11, 2006

München - Ein Todes-Requiem

München

USA 2005

+++

Avner (Eric Bana), ein Ex-Mossad-Agent, soll mit vier anderen Mitstreitern offiziell inoffiziell die Drahtzieher des „Olympia“-Attentats von München ausfindig machen und liquidieren. In einem Schweizer Schließfach findet er dazu das nötige Geld, um seine für Israel angeblich so bedeutsame Mission zu erfüllen, Informanten zu bezahlen und die nötigen Waffen zu kaufen. Schon kurze Zeit später zieht das Quintett quer durch Europa eine unverkennbare Blutspur hinter sich. Langsam keimen in den Männern jedoch auch erste Zweifel an der Legitimation ihres Handels auf. Vor allem Avner quälen diese Gedanken.

Wenn Spielberg Geschichte inszeniert wird es immer lang. Der Hang zur monumentalen Ausbreitung verwundert bei „München“ allerdings schon, gibt die Story eigentlich ein „soviel“ an Handlung gar nicht her. Darunter, das wird am Ende deutlich, leidet der Film auch in seinen letzten 20 Minuten, die sich merklich ziehen und den Zuschauer eher irritiert als sensibilisiert zurücklassen. Über weite Strecken funktioniert „München“ jedoch als ein fast schon reinrassiger Agententhriller im Stile eines actionmäßig abgeschwächten „Ronin“ oder „Oceans Twelve“, wobei letzterer sogar das europäische Sightseeing-Programm mit Spielbergs Rache-Oper gemein hat. Und so verfolgen wir, wie die fünf Spezialisten im „Search and Destroy“-Verfahren den Kontinent umpflügen, ihre Opfer mal aus nächster Nähe mit der Pistole töten oder gleich versehentlich ein halbes Hotel in die Luft sprengen. Dabei würzt der Israel-Palästina-Konflikt den eher trockenen Plot mit der nötigen Prise Brisanz und weltpolitischer Aktualität.

Spielbergs Fragen sind auch unsere Fragen, was recht schell eine unsichtbare Verbindung zwischen Film und Zuschauer etabliert, ohne große Worte und dem Verzicht auf eine tiefgründige Einleitung. Die wenigen, der eigentlichen Handlung voran gestellten, Szenen von dem bereits in die Zeitgeschichte eingegangenen Anschlag auf das olympische Dorf in München, der verzweifelten Reaktion der isrealischen Sportler und der eiskalten Antwort der Terroristen, bereiten nur unserem kollektivem Gedächtnis eine gemeinsame Ausgangsbasis. Im Laufe seiner 164 Minuten wird Spielberg die Ereignisse mehrmals zwischen die Racheaktion der Israelis schneiden, fast so, als wolle er damit andeuten, man könnte den Grund für dieses Ganze Töten vergessen. Hierbei spart der Film nicht mit erschreckenden Bildern. Das teils qualvoll langsame, in Zeitlupe festgehaltene Sterben der Sportler und Terroristen ist dem Thema angemessen. Der erzwungene Voyeurismus tut weh, was gut ist.

Es gab viele potentielle Fettnäpfchen, in die Spielberg hätte tappen können. Von der Nutznug der umstrittenen Vorlage „Vengeance“ über die zu einseitige Darstellung oder einer vermeintlich schiefen Argumentation hin zu einer erzwungenen Opferrolle der Israelis respektive Palästinenser, birgt ein Film über einen solch alten Konflikt fast per Definition eine Unmenge an Sprengkraft. Doch diese Sorgen erweisen sich recht bald als wenig begründet. In dem in mehreren Szenen auch die Palästinenser, argumentativ sicher verkürzt, ihre Sicht darlegen dürfen, entzieht sich „München“ dem Vorwurf des Phantomgegners. Diese Palästinenser leben, hoffen, träumen genauso wie die Israelis. Sie sind per Geburt in ein System der Besatzung hineingeboren, für das sie nichts können und das für sie nichts kann. Der Wunsch nach Selbstbestimmtheit und eigenverantwortlicher Freiheit ist nur legitim. „Paradise Now“ näherte sich von ihrer Seite aus dem Brennpunkt Naher Osten, nun steht es „München“ an, aus einem historischen Kontext heraus, ihren Todfeinden die größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Dabei berührt Spielbergs Film immer dann, wenn es zu einer Kollision dieser zweier Welten kommt. Ein Blick von Robert (Mathieu Kassovitz), dem Bombenbauer des Quintetts, in Richtung der Klavier spielenden Tochter eines der Hintermänner von München, scheint eindringlicher, als jeder gut gemeinte Politiker-Appell an die beiden Kriegsparteien. Geradezu absurd mutet die Szene an, bei der eine Palästinenser-Gruppe unwissentlich mit den fünf israelischen Agenten die gleiche Wohnung in Athen okkupiert.

Im Gegensatz zu dem in dieser Hinsicht feigen Puppentheater in „Team America“ tut „München“ das Unparteiische seiner Macher außerordentlich gut. Der alte linksliberale Spielberg hält zwar mit der eigenen Gesinnung nicht wirklich hinter dem Berg, er hütet sich aber devor, vorschnelle Urteile über Avner und die Seinen zu fällen. Der Virus der Schuld und Paranoia wird Avner langsam auffressen, auch als er zu seiner Familie endlich zurückkehren darf, kann er seine Vergangenheit nicht abschütteln. Die hierzu von Spielberg parallel mit der finalen Eskalation auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck geschnittete Sex-Szene mag deplaziert erscheinen, weil es gemeinhin als geschmacklos gilt, Sex und Gewalt in dieser Form miteinander zu vermischen, das macht sie aber keineswegs überflüssig. Überflüssig ist sie vielmehr deshalb, weil Avners moralisches Dilemma und sein Versuch das Zurückliegende zu vergessen, bereits vor dieser Sequenz überdeutlich geworden ist. Spielbergs Film hätte es gut zu Gesicht gestanden, wäre die letzte Viertelstunde schlichtweg en bloc der Schere zum Opfer gefallen. Diese enthält nichts Neues. Sogar der Versuch, Avner zurück in seine Heimat Israel zu locken, kommt als eine Wiederholung daher. Spielberg-Hasser könnten versucht sein, den ethischen Kollaps der Racheaktion, auf die Ebene des Films zu übetragen.

Der Australier Eric Bana ließ bereits in Wolfgang Petersens „Troja“ neben den lustlosen Stars Brad Pitt und Diane Kruger aufhorchen. Hier darf er groß aufspielen, denn „München“ ist nicht zuletzt seine Bühne. Wenn der Zuschauer auch nur wenig Empathie für die übrigen Vier aufbringt, an Avner und Banas Verkörperung dieser komplexen Persönlichkeit gibt es nichts zu bemängeln. Einst aus Pflichtgefühl für seine Heimat (das kleine trockene von Kalkstein übersähte Fleckchen Land, wie er einmal selber nennt) hat er diesen „Job“ übernommen. Dann meldet sich jedoch sein Gewissen zu Wort, was nicht länger die biblische Losung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu akzeptieren scheint. Zusammen mit einem immer intensiver werdenden Verfolgungswahn nimmt es ihm die Kraft, länger uneingeschränkt das eigene Handeln verteidigen zu können. Vor den beiden Türmen des World Trade Centers steht dann ein Mann, dem eine Versöhnung mit den eigenen Taten nie mehr gelingen soll.

Natürlich ist es naiv, wenn „München“ unterschwellig die Botschaft von einer gewaltlosen Koexistenz beider Völker propagiert. Dafür hat sich in Jahrzehnten und Jahrhunderten zuviel Hass und Leid angesammelt. Immerhin stellt Spielberg die richtigen Fragen. „Wachsen für jeden getöteten Terroristen nicht gleich ein Dutzend neue Fanatiker nach, die den zuvor Getöteten in ihrer Gewaltbereitschaft und moralischen Verkommenheit um ein Vielfaches übersteigen?“ Dann ist es fast so, als sähe man nicht nur einen gut gemachten Kinofilm auf der Leinwand, sondern zugleich auch in einen gigantischen Abfluss. Dieser zieht allen Hass in sich auf, nur um ihn dann zu einem Meer voller Blut zu geleiten, das auch mit jeder noch so entschlossenen Waffengewalt nicht mehr zu durchqueren sein wird.

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei kino.de.

Donnerstag, Februar 09, 2006

Best of the Best - Netzhautvergnügen 2005

Bester Film

1. Million Dollar Baby
Mo Cuishle!

2. Batman Begins
Eine Comic-Adaption, die nicht länger eine sein will. Regisseur Christopher Nolan gelingt es, einen Film auch für Comic-Hasser zu drehen. Mit dem dunkelsten Batman, den es je gab. Die Rückkehr des intelligenten Blockbusterkinos!

3. Sophie Scholl - Die letzten Tage
Julia Jentsch ist großartig, der Film packend und mitreißend, kein Haar in der Suppe will ich daran finden.

4. Maria voll der Gnade
Dass dieser Film so unter die Haut geht, ist Hauptdarstellerin Moreno zu verdanken. Teils klaustrophobisch, teils erschütternd zeigt er eine Seite des Drogengeschäfts, die so nie in den Nachrichten auftaucht.

5. Die Tiefseetaucher
Bill Murray zeigt wieder einmal, dass er komisch dramatisch brillieren kann. In einem grotesken absurden Witz, den ich gar nicht "Film" nennen möchte. Wes Anderson hat mich wieder!

6. Darwins Albtraum
Wenn es im letzten Jahr eine Dokumentation zu Recht ins Kino geschafft hat, dann diese hier. Hubert Sauper schafft es ganz unmoore-esk, den Wahnsinn auf Zelluloid zu bannen. Mit Wut im Bauch, aber nie polemisch, hält er sich mit eigenen Kommentaren zurück. Die Bilder sprechen für sich.

7. Haus aus Sand und Nebel
holt die griechische Tragödie zurück auf die Leinwand. Vor allem das Unausweichliche zieht einen runter. Eine filmische Depression, die lange nachwirkt und bedrückt.

8. 2046
Ein Traum von einem Werk. Überbordend, melancholisch, schamlos am Mainstream vorbei. Die Bilder von Kameramann Christopher Doyle gleichen einem Gemälde. Zum Sterben schön anzusehen und dazu noch großartig besetzt.

9. Silentium
Warum können wir Deutsche nicht so böse und ehrliche Filme drehen? Beinhaltet den wohl (Achtung! Karrikaturenstreit!) ungewöhnlichsten Kreuzgang der Filmgeschichte und eine Vielzahl cineastischer Anspielungen. Dazu trägt Josef Harder die eigene Unzulänglichkeit wie eine Monstranz vor sich her.

10. Hautnah
Law, Roberts, Portman, Owen. Vier Worte reichen.

Mittwoch, Februar 08, 2006

Zuletzt gesehen - Walk the Line

Walk the Line USA 2005

+++1/2

Eigentlich sind Biopics nicht wirklich mein bevorzugtes Genre. Vergangenes Jahr waren mit "Ray" und "Aviator" eher zwei enttäuschende Vertreter in unseren Kinos zu sehen. Doch diese Verfilmung, diesmal von Johnny Cashs Leben (mit dem Schwerpunkt auf den 60er Jahren), ist mitreißend, dramatisch und unterhaltsam zugleich. Das liegt weniger an der wieder mal sehr braven Insznenierung von James Mangold, sondern vor allem an der Figurenkonstellation und dem Fokus auf der Beziehung zwischen Johnny und June. Ein solch dramaturgischer "Anker" fehlte beispielsweise in "Ray" völlig, daher blieb das Gezeigte immer seltsam auf Distanz, und man als Zuschauer irgendwie unbetetiligt. Diesen Fehler begeht "Walk the Line" nicht.

Natürlich gebühren lobende Worte den beiden Schauspielern Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon. Vor allem letztere hätte ich nach den zig seichten Komödien eine derartige Leistung nicht zugetraut. Nicht nur dass beide selber die Songs trällern, vielmehr beeindruckt ihr Zusammenspiel und ihre Hingabe für ihre Rollen. Das sieht mitunter hart und angestrengt bei Phoenix aus, aber das paßt exakt zu Johnny Cashs Leben zur damaligen Zeit. Es ist das Duo Phoenix/Witherspoon, das den Film zu etwas Großem und Erhebenem macht. Zu Recht erhielten beide dafür eine Oscar-Nominierung. Sehr empfehlenswert!

Match Point - Die dunkle Seite des Woody A.


USA 2005

+++1/2

„Eisberg voraus!!!!“

Das große Drama in einem kleinen Film. Woody Allen hat seiner großen Liebe New York für „Match Point“ den Rücken gekehrt, um in London seinen neuesten Film drehen zu können. Trennungsschmerz empfindet der Zuschauer angesichts dessen wohl kaum, eher möchte man Allen entgegen rufen: „Warum hast Du das nicht schon vor zehn Jahren getan?“ Denn der bekannteste Neurotiker der Welt schuf nichts weniger als den elegantesten und ehrlichsten Film des Jahres. Filmkunst auf höchstem Niveau, ohne falsche Eitelkeiten und Egoismen. Schnörkellos, direkt und zielstrebig steuert der alte Traum von Liebe und Glück hier in ein gigantisches schwarzes Loch. Bereits mit der ersten Einstellung gibt Allen das Thema vor. Oftmals entscheidet schlichtweg das Glück, manche mögen es unter dem Begriff „Schicksal“ kennen, was aus uns wird. Dieser erster filmischer Federhandschuh, das Spiel des Tennisballs mit der Netzkante, der zum Ende fast im Vorbeigehen wieder aufgenommen wird, bildet eine unsichtbare Klammer um eine Handlung aus unterdrückten Leidenschaften und tödlichen Lebenslügen.

Der ehemalige Profi-Tennisspieler Chris (Jonathan Rhys-Meyers) lernt bei einer Trainerstunde Tom (Matthew Goode) kennen, ein Mitglied der Londoner High Society. Dessen Eltern verfügen über mehrere Firmen, ein edles Landhaus und reichlich Einfluss bis in die höchsten Kreisen. Dabei lernt Chris Toms Schwester Chloé (Emily Mortimer) kennen, sie verliebt sich in den attraktiven Sportler, er nimmt es dagegen eher wohlwollend zur Kenntnis. Dennoch lässt er sich auf eine Beziehung mit ihr ein. In Wahrheit gilt seine Sehnsucht jedoch der lasziven Amerikanerin Nola (Scarlett Johansson), Toms Freundin. Sie ist jedoch alles andere als wohlbetucht. Bislang schlägt sich die erfolglose Schauspielerin mit Gelegenheitsjobs durchs Leben. Ihre Karriere ist zu Ende, noch bevor sie eigentlich begonnen hat, weshalb Toms Mutter Eleanor (Penelope Wilton) auch wenig begeistert von der Liaison ihres Sohnes ist. Als dieser sich von Nola trennt, lässt Chris endgültig alle Hemmungen fallen. Eine leidenschaftliche Affäre nimmt ihren Lauf.

Hatte ich eingangs die Formulierung vom „ehrlichsten Film des Jahres“ verwandt, so muss ich mich korrigieren, insoweit dass „Match Point“ sich diese Auszeichnung mit dem ähnlich gelagerten „Hautnah“ teilen muss. Beide Male suchen die Protagonisten Erfüllung in immer neuen Beziehungen und Gefühlskonstellationen, nur am Ende vor einem moralischen Scherbenhaufen zu stehen, der ihre Hoffnung in die Knie zwingt. Ebenfalls in der besseren englischen Gesellschaft angesiedelt, unterscheidet sich Allens Werk allerdings in den Konsequenzen deutlich von Patrick Marbers Bühnenstück. „Match Point“ verlässt die formelbehaftete Ebene eines Beziehungsgleichnisses mit vier unterschiedlichen Archetypen, Allen wird konkreter und schickt Zuschauer und Lügenbaron Chris auf eine Abfahrt ohne Handbremse. Die Stellschrauben werden mit jeder Begegnung fester angezogen, bis schlussendlich das Korsett niemanden mehr Luft zum atmen lässt. Die Situation erscheint ausweglos, und doch bieten sich Chris immer wieder Chancen, vermutlich ein letztes Mal aus dem gefährlichen Spiel auszusteigen und gegenüber allen Beteiligten reinen Tisch zu machen. Seine Feigheit und seine antrainierte Bequemlichkeit vom sorglosen Leben mit Dienstauto, Chauffeur und Spesenkonto halten ihn letztlich davon ab.

Bittere Wahrheiten begegnen einem in „Match Point“ an jeder Ecke. Dass man bereit wäre, Liebe und Leidenschaft gegen ein dickes Bankkonto und eine gesicherte Existenz einzutauschen, dürfte die härteste sein. Auch wenn Verallgemeinerungen immer die Ausnahme quasi schon per Definition beinhalten, spricht aus dieser Erkenntnis eine sehr pragmatische Sicht unseres Daseins. Allen setzt hiermit einen kalten und dennoch sehr klaren Gegenpol zum vorgegaukelten Seifenoperkitsch moderner Wohlfühlphantasien. Sein Film ist eine Zeitreise zurück in die Epoche der klassischen Tragödie (was nicht nur die musikalische Begleitung durch mehrere Opern u.a. von Verdi unterstrichen wird). Ohne zuviel vom Ausgang der Geschichte vorwegzunehmen, kann gesagt werden, dass Chris die finanzielle Hängematte teuer für sich erkaufen muss. Ein dunkler Schatten wird zeitlebens über seinem Gewissen liegen. In einer brillanten, eigentlich auch urkomischen, Szene verarbeitet Allen diesen inneren Konflikt auf eine fast surreale Weise. Angesiedelt irgendwo zwischen Lynch und Tarantino.

Ein Erlebnis wird „Match Point“ aber nicht nur durch den Mann hinter der Kamera. Jonathan Rhys-Meyers und die ungemein erotische Scarlett Johansson bilden ein kongeniales Duo Infernale. Der junge Ire stellt sich erfolgreich der Herausforderung ein eigentliches Ekel möglichst sympathisch erscheinen zu lassen, mit dem man mitleidet und mitfühlt, wenn sich die Schlinge um den Hals immer weiter zuschnürt. Dazu geht von ihm ein sehr animalischer Sex Appeal aus, der mit Scarletts Sinnlichkeit nahezu wortlos harmoniert. Über jene Scarlett Johansson habe ich schon desöfteren geradezu ekstatische Lobeshymnen rausgelassen. Deshalb mach ich es an dieser Stelle kurz: atemberaubend! Vielleicht muss sich Chris auch aus diesem Grund die Krawatte losbinden, sie raubt einem schlicht den Atem. Zunächst eingeführt als blondes östrogenstrotzendes Pin Up-Girl gelingt Scarlett die Transformation ihres Filmcharakters zu einer von Einsamkeit und Verlustängsten geradezu besessenen Frau. Es wäre Zeit, dass Scarlett nach so vielen wunderbaren Rollen die dafür nötige Anerkennung bekommen würde.

Neben der ganzen sehr unromantischen Sezierung von Glück und Liebe schildert Allens Europa-Trip sozusagen im Vorbeigehen den Alltag einer Gesellschaftsschicht, die zwischen Opernbesuchen und Geschäftsessen eine Parallel-Monarchie aufgebaut hat. Jeder hat dort seinen ihm zugewiesenen Platz, abzulesen an den Privilegien, der Größe des Fuhrparks und der Exklusivität des Wochenendresidenz. Das eigene Leben sorgfältig drappiert wie ein Sofakissen. Englands obere Zehntausend mögen asoziale Besserwisser sein, allerdings mangelt es ihnen nicht an Bildung und Kultur. Damit unterscheiden sie sich deutlich von den gern zum Feindbild aufgebauten neureichen Porschefahrern. Für Chris ist das eine andere Welt. Er stammt aus einfachen Verhältnissen, in die er, soviel steht fest, nie mehr zurückwill. Wahrscheinlich sind vor diesem Hintergrund seine Entscheidungen zu interpretieren. Auch er ist sich selbst der Nächste. Sein schizophrenes Leitbild lautet: Rücksicht auf niemand und Gerechtigkeit für alle.

Diese Kritik ist zuerst erschienen bei Kino.de.

Willkommen auf meinem Blog!

...das soll der Versuch werden, filminteressierten "Internetreisenden" aus meiner ganz persönlichen Sicht, das moderne Kino näher zu bringen. Dazu wird es in regelmäßig unregelmäßigen Abständen Kritiken, Eindrücke, Kommentare zur Kinolandschaft und neuen Filmen geben.

Viel Spaß beim Herumstöbern

wünscht Euch

Marcus