Mittwoch, Februar 27, 2008

No Country for Old Men - Das richtige Leben im Falschen


USA 2007

+++1/2

Mit der Adaption von Cormac McCarthys Roman No Country for Old Men kehren Joel und Ethan Coen zu ihren kreativen Wurzeln zurück. In bester Blood Simple-Tradition zeichnet ihr schwarzhumoriges Crime-Drama ein düsteres Portrait der menschlichen Natur. Folgt man ihrer Argumentation, so lassen wir uns nur allzu oft von falschen Hoffnungen, Gier und sogar Wahn leiten. In den Hauptrollen liefern sich Josh Brolin und Javier Bardem ein elektrisierendes und dabei vor allem blutiges Duell.

Filmkritik:

Eine karge Landschaft, schweigsame Menschen, ein missglückter Drogendeal und der Traum von einem besseren Leben. Das sind die Zutaten der neusten, in Cannes uraufgeführten Arbeit der Coen-Brüder. Joel und Ethan, die seit ihrem Erstling Blood Simple immer wieder die zweifelhafte Moral der Spezies Homo sapiens sapiens erforschten, bleiben sich und ihrem Gesamtwerk mit der recht losen Verfilmung von Cormac McCarthys Roman No Country for Old Men treu. Irgendwo zwischen tiefschwarzer Komödie, aufrichtigem Drama und perfekt arrangierten Suspense-Kino lässt sich die Geschichte um einen einfachen Mann einordnen, dessen Leben durch den Fund eines Koffers und 2 Millionen Dollar eine neue Wendung nehmen soll.

Eigentlich wollte er nur einige Tiere schießen. Doch während Llewelyn Moss (Josh Brolin) noch darauf wartet, dass ihm etwas Essbares vor das Zielfernrohr seines Gewehrs läuft, macht er eine ganz andere Entdeckung. In der Einöde der texanischen Wüste sollte augenscheinlich ein Drogengeschäft abgewickelt werden. Davon zeugen ein paar tote Mexikaner, eine Wagenladung Heroin sowie ein Koffer randvoll mit Dollarnoten. Llewelyn überlegt nicht lange. Er nimmt das Geld und macht sich aus dem Staub. Dass sich im Koffer ein Peilsender befindet, der ihn zur Zielscheibe eines psychopatischen Killers (Javier Bardem) werden lässt, davon ahnt Llewelyn zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nichts.

Die Parallelen zu alten Coen-Glanzstücken wie Blood Simple und Fargo liegen auf der Hand. Auch in No Country für Old Men ergeben Gier, Wahnsinn und Verzweiflung einen tödlichen und äußerst blutigen Cocktail. Für die Aussicht auf das schnelle Geld ist Llewelyn bereit, alle Skrupel und jedwede Moral abzulegen. Alles was in diesem Moment für ihn von Bedeutung ist, passt in einen unauffälligen Silberkoffer. Und wie in Fargo wimmelt es auch hier von skurrilen, wunderbar verschrobenen Charakteren. Der von Tommy Lee Jones mit einer stoischen Ruhe verkörperte Sheriff Bell – gewissermaßen die männliche Reinkarnation von Marge Gunderson – ist für einen Großteil der Pointen zuständig. Sein nüchterner Blick auf die Welt ist typisch für viele Figuren aus dem Coen-Universum, in dem trotz aller Gewalt und Bitternis stets Raum für ein melancholisches Erinnern an die „Good ol’ Days“ bleibt.

No Country for Old Men vereint ein mehr als außergewöhnliches Schauspiel-Ensemble. Allen voran Josh Brolin und Javier Bardem liefern unter der Regie der Coens die vielleicht stärksten Leistungen ihrer bisherigen Karriere ab. Brolin, der zuletzt in Ridley Scotts American Gangster den Bad Cop gab, übernahm den Part des fast schon bemitleidenswerten Anti-Helden, der halb sehend, halb blind in sein Verderben rennt. Brolins Präsenz und Ausstrahlung erinnert desöfteren an Nick Nolte, dessen Spezialität bekanntlich auch in der Darstellung gebrochener Existenzen lag. Kam es bei Llewelyn darauf an, dass sein Handeln zu jedem Zeitpunkt für den Zuschauer verständlich und nachvollziehbar erscheinen sollte, galten vergleichbare Regeln für Bardem allenfalls in der Theorie. Llewelyns Verfolger ist ein in ein Bolzenschussgerät vernarrter Sadist, ein Irrer, der keine Gefangenen macht. Bardem transportiert all dies mit einer beängstigenden Kälte und Präzision. Während einer recht frühen Strangulationsszene genügt ein Blick in seine Augen, damit sich einem die Nackenhaare aufstellen.

Die Coens lieben es, Geschichten aus dem Herzen Amerikas zu erzählen. Dort, wo die Weite der Landschaft alles überragt, setzen sie eine Spirale aus Gewalt und Chaos in Gang, aus der es letztlich kein Entrinnen gibt. Mit jeder neuen Szene – vom ersten Aufeinandertreffen der Kombattanten im versifften Motel bis zur Schießerei auf offener Straße – kommen hier die tödlichen Einschläge ein kleines Stück näher. Auf blutigen Pfaden und verpackt in lakonische Bilder erzählt No Country for Old Men von der trügerischen Hoffnung auf ein richtiges Leben im Falschen.

Für Programmkino.de.

Montag, Februar 25, 2008

8 Blickwinkel - Rashomon meets Tom Clancy


USA 2008

+1/2

Aus verschiedenen Perspektiven nähert sich dieser mit Dennis Quaid, Forest Whitaker und William Hurt hochkarätig besetzte Action-Thriller einem folgenschweren Terroranschlag. Was spannend klingt, entpuppt sich jedoch als pathetischer, unglaubwürdiger und manipulativer Nonsens. Weiter geht's auf evolver.

Samstag, Februar 23, 2008

Kurzkritik - Michael Clayton


USA 2007

+++1/2

Er nennt sich selber der „Ausputzer“. Michael Clayton (George Clooney) ist der Mann fürs Grobe, für die besondere Aufträge. Als Retter in letzter Not bereinigt er die gefährlichsten Brandherde einer New Yorker Anwaltskanzlei. So auch im Fall des Chemiekonzerns U/North. Dieser steht im Verdacht, wissentlich ein gesundheitsschädliches Pflanzenschutzmittel produziert zu haben. Nun drohen die Opfer mit einer Sammelklage, die das Unternehmen Milliarden kosten könnte. Eigentlich wurde Claytons Kollege Arthur Eden (Tom Wilkinson) mit der Abwendung der Klage beauftragt. Nachdem dieser bei einer Zeugenvernehmung jedoch einen Nervenzusammenbruch erleidet, sind Claytons Dienste gefragt, um im letzten Moment noch größeren Schaden von der Kanzlei und U/North abzuwenden.

Interessanterweise bleibt vieles von dem, was eigentlich zu Claytons Job gehört, im Dunkeln. Mit seinem smarten, selbstbewussten Auftreten soll er dafür sorgen, dass sich die Dinge in die aus Sicht seines Auftraggebers gewünschte Richtung entwickeln. Wie er das in Vergangenheit immer anstellte, darüber kann man als Zuschauer nur spekulieren. Fest steht, dass er in einer rechtlichen wie moralischen Grauzone operiert. Im Fall der U/North-Untersuchung muss Clayton bald feststellen, dass sein alter Freund Arthur im Besitz eines belastenden Dokuments ist, welches die Schuld des Klienten zweifelsfrei beweist.

Die Idee zu Michael Clayton kam Regisseur und Autor Tony Gilroy bei Recherchen im Anwaltsmilieu. Auch wenn sein Film fiktional ist nicht den Anspruch einer Dokumentation erhebt, erscheint vieles erschreckend real. So flossen Gerichtsverfahren wie der Fall „Anderson vs. General Motors“, in dem sich der Detroiter Autobauer für systematische Konstruktionsfehler an seinen Fahrzeugen verantworten musste, in die Handlung mit ein. Dabei reduziert Gilroy die Seite des Chemiekonzerns keineswegs zu einem anonymen Monstrum. Die Leiterin der U/North-Rechtsabteilung, von Tilda Swinton bewundernswert mutig gespielt, kann einem ebenfalls nur Leid tun, angesichts des massiven Drucks, der von ihren Vorgesetzten auf sie ausgeübt wird.

Und auch Clooney überzeugt einmal mehr in einem politisch brisanten Thriller, der sich konsequent der Action-Obsession des Hollywood-Mainstreams entzieht. Spannung entsteht hier nämlich nicht über einen temporeichen Plot. Gilroy konzentriert sich ganz auf Clooneys Charakter und dessen Sinneswandel. Erst allmählich baut sich so eine beunruhigende Dynamik auf, die sich in einer mitreißenden und emphatischen letzten Viertelstunde entlädt. Nach Ansicht von Michael Clayton möchte man – soviel steht fest – lieber nicht wissen, was sich in Wahrheit tagtäglich hinter den gläsernen Fassaden der mächtigen Kanzleien abspielt.

Erschienen im Smart Investor.

Montag, Februar 18, 2008

Sweeney Todd - Der teuflische Barbier aus der Fleet Street


USA 2007

+++1/2

Ein Friseur sieht rot. In Stephen Sondheims Musical-Thriller Sweeney Todd übt ein zu Unrecht Verurteilter blutige Rache an seinen Peinigern. Tim Burton nahm sich den düsteren Stoff nun als Kinofilm vor. Seine sechste Zusammenarbeit mit Johnny Depp vereint große Gefühle mit expliziter Gewalt und einer pittoresk-morbiden Optik. Burtons Ehefrau Helena Bonham Carter, Alan Rickman und der britische Comedian Sacha Baron Cohen komplettieren die größtenteils Musical-unerfahrene Besetzung.

Filmkritik:

Ihm und seiner Familie ist unbeschreibliches Unrecht widerfahren. Benjamin Barker (Johnny Depp) landet für 15 Jahre unschuldig hinter Gittern. Zu allem Überfluss muss er die Strafe am anderen Ende der Welt absitzen, während seine Frau und Tochter in die Hände des skrupellosen Richter Turpin (Alan Rickman) fallen. Doch Barker entkommt und kehrt in seine Heimatstadt London zurück, wo er sein grausames Schicksal auf ebenso grausame Weise rächen will. Er erfährt, dass seine Frau von Turpin missbraucht wurde. Daraufhin habe sie sich das Leben genommen. Barkers inzwischen halbwüchsige Tochter Johanna (Jayne Wisener) lebt derweil wie eine Gefangene in Turpins Haus. Der einflussreiche Richter hat sich in das bildschöne Mädchen unsterblich verliebt und betrachtet sie als seinen Besitz. Bei seinen Racheplänen erfährt Barker, der sich fortan „Sweeney Todd“ nennt, Unterstützung von Mrs. Lovett (Helena Bonham Carter). Die Witwe betreibt unterhalb des Friseurladens ein schlecht gehendes Pasteten-Geschäft. Erst als sie ihre Backwaren mit dem Fleisch von Sweeneys Opfern „verfeinert“, kann sie sich vor Kunden nicht mehr retten.

Allein die Ankündigung, dass Tim Burton bei der Verfilmung des erfolgreichen Bühnenstücks und Musicals auf dem Regiestuhl Platz nehmen wird, trieb die Erwartungshaltung in schwindelerregende Höhen. Denn obwohl der eigenwillige Filmemacher noch nie zuvor ein Musical inszeniert hatte, schien er angesichts seiner Vorliebe für märchenhafte Grusel-Geschichten geradezu prädestiniert für den düsteren Stoff. Deshalb zunächst das Wichtigste: Sweeney Todd bietet Burton in hochgradig konzentrierter Form. Jede Szene, jedes der schaurig-schönen Sets, die der mehrfache Oscar-Preisträger Dante Ferretti in Anlehnung an das viktorianische England der Jack the Ripper-Zeit entwarf, sind von seiner morbiden Ästhetik durchzogen.

Die hochstilisierte Optik mit ihrer stark auf verwaschene Grau- und Brauntöne reduzierten Farbpalette erinnert an ältere Burton-Filme wie Edward mit den Scherenhänden und vor allem Sleepy Hollow. Dass in beiden auch Johnny Depp die Hauptrolle übernahm, dürfte kaum ein Zufall sein. Denn in Depps Darstellung des einsamen, von Rachegelüsten infizierten Friseurs spiegeln sich ebenfalls vieler seiner früheren Rollen wider. Insgesamt sechs Mal arbeitete er mit Burton bereits zusammen. Die beiden sind ein eingespieltes Team. Depp ist am besten, wenn er unter Burton spielt und vice versa.

Depp meistert die Musicaleinlagen mit Bravour. Seine sonore Stimme passt perfekt zu Sweeney Todds mysteriösen, dunklen Charakter und zur düsteren Atmosphäre, die der Film mit seiner verstörend schönen wie blutigen Einleitungssequenz vorgibt. Helena Bonham Carter, Burtons Ehefrau und die zweite schauspielerische Konstante während seiner letzten Arbeiten, merkt man dagegen an, dass das Musical nicht unbedingt ihre Domäne ist. In anspruchsvolleren Gesangspassagen wirkt Bonhams Stimme allzu dünn.

Für die Umsetzung des Broadway-Musicals von Stephen Sondheim und Hugh Wheeler mussten einzelne Stücke filmgerecht gekürzt und umgeschrieben werden. Burton schaffte es, die Spielszenen und Musicaleinlagen sanft ineinander fließen zu lassen, wodurch sich ein organisches Ganzes ergibt. Ein gewisses Faible für das Musical-Genre sollte man allerdings schon mitbringen, immerhin wird hier ausgiebig bei jeder sich bietenden Gelegenheit gesungen und musiziert.

Seit seiner Uraufführung im Jahr 1979 erfreute sich Sondheims musikalische Interpretation der Sweeney-Legende einer stetig wachsenden Fangemeinde. Die vom Filmkomponisten Bernard Herrmann beeinflussten Songs erwiesen sich als ideale Untermalung einer zu gleichen Teilen brutalen wie zärtlichen Geschichte. Der Film konserviert diese Essenz. Bei Burton stehen das Drama und die Horrorelemente gleichberechtigt nebeneinander. Wenn Sweeney Tood seinen blutigen Racheplan in die Tat umsetzt, fühlt er keine Genugtuung oder gar Freude. Ihm geht es vielmehr darum, dass diejenigen, die ihm alles genommen haben, seinen Schmerz teilen. Zumindest für den Bruchteil einer Sekunde. Bis die Klinge ihre Arbeit vollbracht hat.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Februar 14, 2008

27 Dresses - Heirat, fremde Heirat


USA 2007

++

Grey´s Anatomy-Star Katherine Heigl kämpft sich von einer Hochzeit zur nächsten - bislang aber leider nur als Brautjungfer. Die filmische Suche nach Mr. Right folgt weitgehend brav den Konventionen bekannter romantischer Komödien. Weiter geht's auf evolver.

Mittwoch, Februar 13, 2008

John Rambo - I am Legend


USA 2007

Ohne Wertung

Er ist zurück. Der Inbegriff des ehrbaren, zähen, rauen und testosteronstrotzenden Kämpfers: John Rambo. 26 Jahre nach First Blood und 20 Jahre nach Teil 3 wollen es er und der mit seiner Figur untrennbar verbundene Sylvester Stallone noch einmal wissen. Nachdem Sly erst vergangenes Jahr mit Rocky Balboa eine andere amerikanische Kino-Legende aus dem Altenteil zurück auf die Leinwand holte, steht nun das Comeback einer überlebensgroßen, amerikanischen Action-Ikone an. Wie schon in Teil 1 bis 3 sind auch in John Rambo deren Insignien allgegenwärtig: Der mürrische Blick, das sture Gemüt, Pfeil und Bogen, das rote Kopftuch. Rambo lebt allein und zurückgezogen im thailändischen Dschungel. Die Welt da draußen interessiert ihn schon lange nicht mehr. Stattdessen versucht er, Ärger - wenn möglich - aus dem Weg zu gehen. Es scheint, als sei er des Töten überdrüssig.

Als eine Gruppe christliche Missionare ihn bittet, sie auf seinem Boot über die Grenze ins benachbarte Birma zu bringen, braucht es schon einiges an Überredungskunst, damit er ihnen diesen Wunsch erfüllt. Einige Wochen später erfährt er, dass die Missionare von ihrer Reise nicht zurückgekehrt sind. Vermutlich sind sie birmanesischen Militärs in die Hände gefallen. Zusammen mit einer Gruppe Söldner bricht Rambo schließlich zu seiner letzten Mission auf.

„Lebe für nichts oder stirb für etwas!“ lautet die Überschrift über das vierte Rambo-Abenteuer, das nichts von vornehmer Zurückhaltung hält, sondern von der ersten bis zur letzten Minuten lieber richtig – Verzeihung – auf die Kacke haut. Stallone schraubt den Body-Count auf ein Niveau gegen das selbst der schießwütige dritte Teil nicht ankommt. Dabei macht John Rambo trotz aller blutigen Gewaltexzesse und in Nahaufnahme gezeigten Perversitäten einfach Spaß. Natürlich spielt wie schon bei Rocky auch hier der Nostalgiefaktor eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ohne die Erinnerung an die Good Ol’ Days wäre Rambo nicht halb so überzeugend.

Teil 4 bietet Action im Überfluss, die unverfälscht, roh und unbarmherzig daherkommt. Das fühlt sich nicht nur wegen Stallone zu jeder Zeit einfach richtig Oldschool an. Mit den Schergen des birmanesischen Militärs verfügt der Film zudem über eine einfache, aber wirkungsvolle Riege an „Very Bad Guys“, denen Rambo einen nach dem anderen eine schmerzhafte Lektion erteilen darf. Zuweilen hart an der Grenze zur Parodie verkörpert John Rambo dabei die ultimative Kinofantasie für harte Kerle mit weichem Kern. Blutüberströmt und verschwitzt im Regen zu stehen, den Körper voller Dreck und das selbstgeschmiedete Messer in Händen haltend, was kann es Schöneres geben?

Samstag, Februar 09, 2008

Mein Freund, der Wasserdrache - Free Nessie


USA 2007

++1/2

Die Geschichte von Loch Ness gehört zu Schottland wie Haggis und Dudelsack. Dass aber auch urzeitliche Legenden einmal klein angefangen haben, belegt das neue Fantasy-Abenteuer aus dem Hause Walden Media (Die Chroniken von Narnia). Darin knüpft ein kleiner Junge eine mehr als ungewöhnliche Freundschaft zu einer seltsamen Kreatur, die er erst liebevoll aufpäppelt, um sie letztlich schweren Herzens in die Freiheit zu entlassen. Mein Freund, der Wasserdrache ist nicht die erste familienkompatible Verfilmung dieses schottischen Mythos, dafür aber die tricktechnisch bislang überzeugendste.

Filmkritik:

Während in Europa der Zweite Weltkrieg tobt und sich vor der schottischen Küste alliierte Marineverbände mit deutschen Kriegsschiffen heftige Gefechte liefern, wächst der kleine Angus (Alex Etel) in einer dörflichen Idylle ohne Vater auf. Dieser muss wie so viele andere seinem Land dienen, weshalb er nicht bei seiner Frau (Emily Watson) und den Kindern sein kann. So verbringt Angus viel Zeit alleine. Bei der Muschelsuche entdeckt er eines Tages einen seltsamen Gegenstand, der von der Form her einem übergroßen Ei ähnelt. Es dauert nicht lange bis aus dem Ding eine mysteriöse Kreatur schlüpft. Angus kümmert sich fortan rührend um den quirligen Gesellen, dessen Appetit vor nichts halt zu machen scheint, und den er auf den Namen Crusoe tauft.

Die anfangs geheime Freundschaft zwischen Angus und Crusoe bleibt nicht unentdeckt. Schnell bekommen auch Angus’ kleine Schwester Kirstie (Priyanka Xi) und Lewis (Ben Chaplin), der Hausmeister, Wind von der Sache. Doch sie behalten das, was sie gesehen haben, für sich. Nachdem sich Crusoe allerdings über Nacht in einen stattlichen Wasserdrachen verwandelt, ist Angus gezwungen, seinen ungewöhnlichen Spielgefährten in die Freiheit des Sees zu entlassen. Dabei ahnt er nicht, dass seine Entscheidung für Crusoe dramatische Folgen haben soll.

Regisseur Jay Russell und die Trickspezialisten von Weta Workshop, die sich schon für die Oscar-prämierten Effekte der Herr der Ringe-Trilogie verantwortlich zeichneten, wagten sich mit dieser Verfilmung nicht nur an einen schottischen Mythos sondern zugleich auch an einen der beliebtesten englischen Kinderbücher. Als Vorlage für Mein Freund, der Wasserdrache diente die Erzählung „The Water Horse“ von Dick King-Smith, welcher ebenfalls die Geschichten um das tapfere Schweinchen namens Babe ersann. Crusoe entpuppt sich dank modernster CGI-Technik Pixel für Pixel als ein echtes Knuddelmonster zum Liebhaben. Vor allem als tapsiges Baby dürfte er die Herzen nicht nur der jungen Kinozuschauer im Sturm erobern. Voller Energie und Tatendrang fegt der ungestüme Wirbelwind über die Leinwand.

Buch wie Film konzentrieren sich ganz auf Angus und wie er durch die Freundschaft zu Crusoe an Selbstbewusstsein und Reife gewinnt. Das Fehlen des Vaters, dem er nur in Gedanken nahe sein kann, hat ihn unsicher werden lassen. In einer der ersten Szenen des Films sehen wir, wie sich Angus verängstigt und nur äußerst widerwillig dem Wasser nähert. Erst durch die Begegnung mit dem vermeintlichen Seeungeheuer legt er diese Scheu ab, entwickelt er sich zu einem selbstbestimmten Teenager. Im Kern erzählt Mein Freund, der Wasserdrache damit eine typische Coming-of-Age-Geschichte. Lediglich das Vehikel, in diesem Fall die Legende um das Monster von Loch Ness, unterscheidet Russells Film von den meisten Genre-Vertretern.

Der Parallel-Plot um einen unsympathischen, linkischen Armee-Hauptmann (David Morrissey), der sich und seine Truppe abseits der Front als Verteidiger des britischen Empires aufspielt, weckt Erinnerungen an Pans Labyrinth. Del Toros grausames wie bezauberndes Märchen verwob seine Fantasy-Geschichte mit dem Horror des faschistischen Franco-Regimes. Obwohl im Ton weit weniger düster und größtenteils familienkompatibel, nimmt auch Russells Wasserdrache eine gleichsam kritische Haltung gegenüber Obrigkeiten und hierarchisch organisierten Systemen ein. Das putzige Antlitz soll darüber nicht hinwegtäuschen.

Für Programmkino.de.

Mittwoch, Februar 06, 2008

Kurzkritik - Der Krieg des Charlie Wilson


USA 2007

+++

Nicht erst seitdem George W. Bush im Weißen Haus residiert, tritt die US-Diplomatie und mit ihr der Geheimdienst CIA regelmäßig in mal mehr, mal weniger tiefe Fettnäpfchen. Mike Nichols Polit-Satire Der Krieg des Charlie Wilson widmet sich mit Afghanistan einem besonders bitteren Kapitel amerikanischer Außenpolitik. Denn während die USA die Mudschahidin einst in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Truppen noch finanziell unterstützten, mussten sie einige Jahre später feststellen, dass der Abzug der Sowjets das Land in einen blutigen Bürgerkrieg stürzte, aus dem die radikalen Taliban als die neuen Machthaber hervorgingen.

Die Filmhandlung setzt zu Beginn der 80er Jahre ein. Für den jungen Kongressabgeordneten Charlie Wilson (gespielt von Tom Hanks) ist es eine aufregende Zeit. Statt sich im tristen Politikalltag zu verlieren, vergnügt er sich lieber mit Prostituierten und auf Partys. Das ändert sich erst, als die engagierte texanische Millionärin Joanne Herring (Julia Roberts) ihn damit beauftragt, Hilfe für die Menschen in Pakistan zu organisieren. Seitdem im Nachbarland Afghanistan Krieg herrscht, strömen Hunderttausende Flüchtlinge dorthin. Wilson lässt sich zu einem Besuch der Flüchtlingslager und einem Gespräch mit dem pakistanischen Präsidenten überreden. Geläutert und davon überzeugt, die Mudschahidin im Kampf gegen die Sowjets mit Waffen versorgen zu müssen, schmiedet Wilson zusammen mit CIA-Mann Gust Avrakotos (Philip Seymour Hoffman) einen mehr als windigen Plan.

Weil die Folgen dieser kurzsichtigen „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Politik bis heute zu beobachten sind, ist Nichols Film ungeachtet seiner Verwurzelung in den 80er Jahren hochgradig aktuell. Offiziell als Drama deklariert, darf hier mehr als in den meisten Komödien gelacht werden. Scharfzüngig und pointiert beschreibt das Drehbuch von „West Wing“-Autor Aaron Sorkin die Absurditäten des Washingtoner Politik-Zirkus. Leider ist das Tempo der Dialoge derart hoch, dass viele der Seitenhiebe vermutlich der Hektik des Geschehens zum Opfer fallen werden. Nicht zu übersehen ist dagegen, wie Philip Seymour Hoffman seinen Kollegen Hanks und Roberts in jeder Szene aufs Neue die Show stiehlt.

Erschienen im Smart Investor.

Sonntag, Februar 03, 2008

Saw IV - Neverending Story


USA 2007

++

Achtung! Leichte Spoiler!

Pünktlich zu Halloween startete auch dieses Jahr in den USA ein neuer Saw. Das zurzeit kommerziell erfolgreichste Horror-Franchise schickt sich an, in die Fußstapfen so legendärer Filmreihen wie Freitag, der 13. und Nightmare on Elm Street zu treten. So haben die Dreharbeiten zu Teil Fünf längst begonnen, der – wie sollte es anders sein – zu Halloween 2008 in die Kinos kommen soll. Und dass die Serie damit zu Ende gehen wird, darf sehr bezweifelt werden. Dafür spielt sie einfach zu viel Geld ein.

Nachdem in Saw III das Verhältnis zwischen Jigsaw und seiner Gehilfin Amanda im Vordergrund stand, beginnt der vierte Teil recht unvermittelt mit einem Zeitsprung und der Autopsie des toten Fallenstellers. Ja, Jigsaw/John (Tobin Bell) ist wirklich tot. Das verrieten bereits die ersten Trailer, weshalb es sich bei dieser Information wohl kaum um eine spoilerrelevante Tatsache handeln dürfte. Natürlich finden die beiden Autoren Patrick Melton und Marcus Dunstan einen Weg, Jigsaw wieder zum Leben zu erwecken. Sie spulen nach der blutigen und vor allem dank der Soundeffekte reichlich unangenehmen Obduktion einfach einige Stunden in der Zeit zurück.

Die eigentliche Handlung in Saw IV setzt nach zwei einleitenden Splatter-Tableaus bei den Ermittlungen der beiden FBI-Profiler Strahm (Scott Peterson) und Perez (Athena Karkanis) ein. Sie sind Jigsaw dicht auf den Fersen und unterstützen den alteingesessenen Detective Hoffman (Costas Mandylor) bei der Rekonstruktion des letzten Tatortes. Während sie noch das Rätsel zu lösen versuchen, verschwindet ein Kollege spurlos. Officer Rigg (Lyriq Bent) fällt dem Killer in die Hände, der mit ihm sein teuflisches Spiel fortsetzt. Dem Polizeibeamten bleiben nur 90 Minuten um eine Reihe perfider Aufgaben zu lösen. Besteht er Jigsaws Tests nicht, wird er mit seinem Leben dafür bezahlen müssen.

Von da an folgen die FBI-Agenten und mit ihnen der Zuschauer Jigsaws blutiger Spur. Dabei sieht das Drehbuch eine strikte Aufgabenverteilung vor. Officer Rigg hat das zweifelhafte Vergnügen, die Tests des Killers einen nach dem anderen zu durchlaufen und erneut dessen perfekt-pervers konstruierte Fallen zu „bestaunen“, in denen wieder einmal Prostituierte, Junkies und Sexualstraftäter auf ihre vermeintlich gerechte Strafe warten. Als kleines Puzzleteil in Jigsaws großem Plan muss Rigg gegen seine pathologische Hilfsbereitschaft ankämpfen, indem er denjenigen, die ihrem eigenen oder dem Leben anderer keine Wertschätzung entgegen bringen, seine Hilfe verweigert. Derweil befragen Strahm und Perez Jigsaws Ex-Frau (Betsy Russell), die anscheinend den Schlüssel zum Ursprung seiner Bösartigkeit in Händen hält.

Machen wir uns nichts vor. Seit Saw II funktioniert die Reihe vor allem über ihre visuellen Abartigkeiten. Die Macher um Regisseur Darren Lynn Bousman schraubten mit jedem Teil den Gore-Faktor in neue Höhen. Auch Saw IV markiert keine Ausnahme von dieser Regel. Wieder einmal werden Menschen in den Fallen des Psychopathen auf möglichst originelle Art zu Geschnetzeltem verarbeitet. Augen werden per Handauslöser ausgestochen, Körper als lebende Schaschlikspieße missbraucht und besonders schmerzhafte Methoden des Skalpierens ausprobiert. Zusammen mit Eli Roths Hostel-Serie definiert Saw das, was im Mainstream-Kino unter dem Label des „Torture Porn“ vermarktbar ist.

Warum John/Jigsaw das ganze Schlachtfest überhaupt veranstaltet, wird schließlich in mehreren Rückblenden endgültig und ausführlich geklärt. Ein persönlicher Schicksalsschlag – und damit ist nicht seine Krebserkrankung gemeint – sei an allem Schuld. Für einen Intellektuellen wie ihn mag die Erklärung etwas zu küchenpsychologisch anmuten, letztlich bleibt sie inmitten dieser blutigen Incredible Machine aber ohnehin nur eine Randnotiz. Nachdem seine Botschaft „Cherish Your Life“ bereits im ersten Teil für den finalen Plot-Twist herhalten musste, steht Jigsaws Aufforderung hier nun bereits ganz plakativ in großen Lettern an einem der ersten Tatorte. Die Reise ist somit von Beginn an klar definiert, überraschend ist höchstens noch ihr Ausgang, wobei auch dieser nach dem aus den Vorgängern bekannten „Wer nicht hören will, muss fühlen“-Prinzip funktioniert.

Bousman, der seit Saw II auf dem Regiestuhl sitzt, hält anscheinend nichts von filmischen Innovationen. In Ton und Optik hat sich die Reihe jedenfalls in den letzten vier Jahren keinen Millimeter weiterentwickelt. Die düsteren, an David Finchers Serienkiller-Schocker Sieben angelehnten Sets scheinen noch immer sämtlichen Dreck wie ein Magnet anzuziehen. Dazu hämmert ein metallischer Industrial Metal-Sound mit brachialer Wucht aus den Boxen, der mit dem eingängigen Saw-Thema zur Jigsaws eigener Todes-Symphonie verschmilzt.

Wenn die letzte Falle zuschnappt, hat das Spiel seinen nächsten Spieler längst gefunden. Insofern erreicht die erwartet blutige aber zugleich sehr berechenbare Achterbahnfahrt mit dem Abspann lediglich ein vorläufiges Ende. Insgesamt zeigt sich immer deutlicher, dass der Fluch der Fortsetzungen auch vor den Saw-Filmen nicht halt macht. Das einst geniale Konzept ist nur noch Mittel zum Zweck. Und dieser liegt im Gelddrucken.

Für BlairWitch.de.