Freitag, Juni 29, 2007

Black Snake Moan - Let It Shine


USA 2007

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Der Blues heilt alle Wunden. Jedenfalls, wenn es nach Regisseur und Autor Craig Brewer geht. Wie schon in seinem Debüt Hustle & Flow beschwört er die kathartische Wirkung der Musik. In Black Snake Moan – der eigenwillige Titel geht auf einen Blues-Song zurück – finden zwei verletzte Seelen über eine schicksalhafte Begegnung zueinander. Während sich das White Trash-Girl Rae (Christina Ricci) von Männern immer wieder missbrauchen lässt und ihren Schmerz mit Drogen zu betäuben versucht, leidet der alte, streng gläubige Lazarus (Samuel L. Jackson) unter der Trennung von seiner Frau. Eines Morgens entdeckt er ein Mädchen leicht bekleidet und offenbar mit Drogen vollgepumpt auf der Straße vor seinem Haus. Er beschließt, sie bei sich aufzunehmen und auf den rechten Weg zurückzuführen.

Aus dieser Konstellation entspinnt sich eine religiös eingefärbte Erlösungsgeschichte, die dem Zuschauer trotz ihrer christlichen Untertöne kein plattes klerikales Glaubensbekenntnis serviert. Eher nutzt Brewer die gesamte Kultur der früheren Südstaaten für seine stimmige Milieuschilderung. Dazu gehören neben den starken christlichen Einflüssen auch die Blues-Musik und das einfache Leben auf dem Land. Im Gegensatz zu den immer schon weiterentwickelten und reicheren Staaten rund um die großen Seen und entlang der Ostküste ist der Alltag vieler Menschen im Süden bis heute von einem unmittelbaren Verhältnis zur Natur bestimmt. Diese Erdung und das Wissen um die spezielle Mentalität des Bible-Belts zeichnen Brewers in seiner Anlage überaus klassisches, geradliniges Drama aus.

Hustle & Flow eröffnete einen anderen Blick auf die ansonsten von Klischees zugepflasterte Hip Hop-Szene und einen Charakter, dessen Rap-Leidenschaft alles in seinem Leben verändern sollte. In Black Snake Moan spielt Samuel L. Jackson Blues-Melodien mit einer Hingabe und Intensität, dass nicht nur Rae die ihr angelegten Fesseln vergisst. Es ist die vielleicht eindrucksvollste Leistung in Jacksons langer Karriere. Gäbe es nicht Christina Ricci, die aufopferungsvoll und mehr als mutig Raes verletzte Seele offen legt und damit bereits zum jetzigen Zeitpunkt als heiße Oscar-Anwärterin gehandelt wird, Jackson wäre alle Aufmerksamkeit gewiss. Ricci und er treiben sich gegenseitig zu Höchstleistungen an, womit Brewer einmal mehr beweist, dass er sich als Schauspiel-Regisseur versteht, der seine Inszenierung ganz in den Dienst der Akteure vor der Kamera stellt.

Der Zusammenprall von Raes und Lazarus’ Welt verdichtet er zu einem energetischen „Clash of Minds“, welcher für seine Protagonisten manch heilsamen Schock beinhaltet. Besonders Raes Freund Ronnie (Justin Timberlake) lernt, dass es okay ist, auch einmal schwach zu sein, wie das Schlussbild eine Spur zu plakativ beweist.

Eine konsequent realistische Abhandlung über den Umgang mit eigener Verantwortung und Verantwortungslosigkeit wäre vermutlich nur halb so spannend, wie das, was Brewer uns hier zu erzählen hat. Die subtile Märchenhaftigkeit aus Hustle & Flow findet sich auch in Black Snake Moan wieder. Das beweisen die Ereignisse der letzten Viertelstunde. Vor der Kulisse des heißen Südens markiert sein Selbstfindungs-Drama eine fast schon kontemplative Reise zu dem, was jeder von uns als universale Erfahrung von Erfüllung und Glück am liebsten für die Ewigkeit konservieren möchte.

Donnerstag, Juni 28, 2007

28 Weeks later - Albtraumhafte Inszenierung


GB 2007

+1/2

Noch bevor Zack Snyder mit dem Remake von George A. Romeros Klassiker Dawn of the Dead den bereits tot geglaubten Zombiefilm neues Leben einhauchte, in dem er vor allem auf rasante Action setzte, führte Danny Boyle in seinem 28 Days later eine ungleich düstere Variante des Untoten-Themas auf. Dabei blieben weniger die eigentlichen Zombie-Attacken als Cillian Murphys Odyssee durch das menschenleere London in Erinnerung. Rund fünf Jahre später kommt nun die Fortsetzung 28 Weeks later in unsere Kinos. Boyle beschränkte sich dieses Mal darauf, als ausführende Produzent tätig zu sein. Die Regie übernahm der Spanier Juan Carlos Fresnadillo. Dessen wendungsreicher Mystery-Thriller Intacto brachte ihm nicht nur einiges an Publicity sondern prompt auch einen Vergleich mit M. Night Shyamalan ein.

Inhaltlich knüpft der Film recht genau an den Vorgänger an. Die Epidemie hat England seit ihrem Ausbruch vor einem halben Jahr fest im Griff. Teile Londons wurden zur Sperrzone erklärt, in der sich niemand mehr aufhalten darf. Die einst pulsierende Metropole ähnelt zunehmend einer Geisterstadt. Bei der Bekämpfung und Überwachung des Virus hilft auch die US Army, darunter die engagierte Ärztin Scarlet (Rose Byrne), die an vorderster Front die Folgen der Epidemie untersucht. Ihr Weg soll sich später mit dem der beiden Kinder von Don (Robert Carlyle) and Alice (Catherine McCormack) kreuzen. Tammy (Imogen Poots) and Andy (Mackintosh Muggleton) waren zum Zeitpunkt des Ausbruchs in Spanien. Sie ahnen zunächst nicht, was für einen Albtraum ihre Eltern in den zurückliegenden Wochen und Monaten durchleben mussten. Erst nachdem ihr Vater ihnen die ganze schreckliche Wahrheit beichtet, dass er Alice bei einem Angriff der Untoten zurück gelassen hat, beginnen sie das Ausmaß der Katastrophe zu begreifen.

Nun mag es ein falscher Automatismus sein, bei Sequels grundsätzlich einen Qualitätsabfall zu vermuten, in diesem Fall werden sich Skeptiker jedoch bestätigt fühlen. Und das, obwohl der bei vielen Fortsetzungen feststellbare Makel einer ideenlos kopierten Geschichte und Dramaturgie auf 28 Weeks later gar nicht einmal zutrifft. Das Drehbuch von Rowan Joffe und Regisseur Fresnadillo überzeugt anfangs nämlich durch seine genaue Beobachtung der zersplitterten Familiensituation. Fast schon lässig viel Zeit nehmen sich die Autoren für die Einführung der vier Hauptcharaktere. Sie wissen, dass eine überhastete Exposition nur dazu führen würde, dass Tammy und die Anderen lediglich als identitätsloses Kanonenfutter für die nach Blut lechzenden Zombiehorden wahrgenommen würden. Zwar ertrinkt manch ein Moment in peinlicher Melodramatik, im Großen und Ganzen bekommt der Zuschauer aber ein authentisches Gefühl für den Horror, der nicht nur diese Familie heimgesucht hat.

Später dann, wenn sich die wie schon in Teil 1 bedrohlich, apokalyptischen Bilder Londons aus ihrem Stillleben befreien und der Angriff der infizierten Massen startet, mutiert 28 Weeks later zu einem gewöhnlichen Chase-Movie, was dann schon eher den Tatbestand der Einfallslosigkeit erfüllt. Fresnadillo ist offensichtlich ein Freund von Snyders Dawn-Remake, denn auch bei ihm wird gerannt bis der Arzt – sprich die resolute Scarlet – kommt. Das sah bei Romero noch ganz anders aus. Da waren die Untoten eher das Symbol eines slackerhaften Außenseitertums, entschleunigt und dumm wie Brot. Immerhin eignen sich Fresnadillos durchtrainierte Sprinter als Kommentar auf den heute vorherrschenden und zur Kultur erklärten Karriere- und Leistungswahn, wobei diese Intention sicherlich nicht im Vordergrund stand. Eher ist der Grund darin zu suchen, dass rennende Zombies schlichtweg cooler aussehen.

Trotz mancher Schwächen ist es jedoch nicht der Plot, es ist die Art, wie Fresnadillo inszeniert, die dem Sequel schwer zu schaffen macht. Die Unsitte, eine Handkamera zum ultimativen Stilmittel zu erheben, hat mittlerweile in nahezu allen Genres Einzug gehalten. Wie einen Fetisch scheint Fresnadillo die das Bild bis zur Unkenntlichkeit verstümmelnde Handkamera anzubeten, anders lässt es sich nicht erklären, wieso er einen an sich soliden Schocker derart ohne Not ruiniert. Nur die eingestreuten Luftaufnahmen der brennenden City bieten die Möglichkeit für eine kurze Atempause. Ansonsten zieht sich das enervierende Gewackel bis in die Schlusspointe. Die Idee, über die Subjektivität der Perspektive ein Gefühl der Involviertheit zu erzeugen, führt der Film mit jeder Minute mehr ad absurdum. Statt dass man als Zuschauer ganz dicht bei den Gejagten ist, steigt man gedanklich früher oder später ganz aus.

Wie eine Handkamera bzw. Steadicam effektiv zu führen ist, hätten sich Fresnadillo und sein Team besser einmal bei Emmanuel Lubezki abgeschaut. Dessen Arbeit für den gleichsam dystopischen Children of Men setzte in dieser Hinsicht neue Maßstäbe. Während dort sogar in den Action-Sequenzen eine klare Strukturierung des Bildes zu erkennen war, erkennt man bei Fresnadillo eben nichts mehr (was zu manchen Irritationen führt). Als wäre die nervöse Kameraführung nicht schon schlimm genug, verleidet einem das einem Videoclip nicht unähnliche Schnittinferno jeglichen Filmgenuss. Mit der Vorgabe, jede Sekunde einen Cut anzusetzen, scheint der Film einmal komplett durch den Mixer gedreht worden zu sein.

Wo die Verpackung derart rücksichtslos den Inhalt niedermäht, interessiert sich für diesen kaum jemand mehr. In 28 Weeks later - soviel steht fest - geht der wahre Horror jedenfalls nicht von den Zombies aus.

Erschienen bei BlairWitch.

Mittwoch, Juni 27, 2007

Demnächst auf dieser Seite: Neue Kritiken zu...

Transformers (++) von Michael Bay

Death Proof (+++1/2) von Quentin Tarantino

Planet Terror (+++1/2) von Robert Rodriguez

Dienstag, Juni 26, 2007

Traders Dreams - Schizophrene eBay-Welt


D 2007

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eBay – vier Buchstaben, die für ein Geschäftsmodell stehen, das bis heute untrennbar mit dem Erfolg des World Wide Web verbunden ist. Das milliardenschwere Unternehmen hat sich eine simple Idee zu Nutze gemacht und über die Jahre perfektioniert. Die Dokumentation von Stefan Tolz und Marcus Vetter liefert einen spannenden, teilweise skurrilen Einblick in das „System eBay“, das Menschen rund um den Globus in seinen Bann gezogen hat. „Jeder kann dank eBay erfolgreich sein!“ Diese Losung entlarvt ihr Film als eine der vielen PR-Floskeln einer sich fast schon kultisch gebenden Gemeinschaft.

Filmkritik:

Dank dem Internet und den Auktionsseiten aus dem Hause eBay können Menschen aus allen Teilen der Welt miteinander einfach und bequem von zu Hause aus Handel treiben. Sie können Waren anbieten, kaufen, gelegentlich oder auch gewerbsmäßig. Einige schaffen es bis zum sogenannten „eBay Powerseller“, wenn sie besonders fleißig die Dinge an den Mann bzw. die Frau gebracht haben. Dabei eBay ist eigentlich nichts weiter als ein gigantischer Flohmarkt, auf dem es offenkundig nichts gibt, was es nicht gibt: Von obskuren Toasts mit Heiligenkonterfei bis hin zu in Sammlerkreisen hoch begehrten Überraschungseifiguren. Wer auf eBay nicht das Passende findet, scheint in Wahrheit wohl auch nichts zu suchen.

Die beiden Dokumentarfilmer Marcus Vetter und Stefan Tolz begaben sich für ihre Suche nach dem nationen- und kulturenübergreifenden Phänomen eBay auf eine Reise um die ganze Welt. Sie machten Station auf der Isle of Skye, in Mexiko, China, dem sächsischen Borna und dem kalifornischen San Jose. Überall trafen sie auf Menschen, die sich über eBay ihre kleinen wie großen Träume erfüllen wollten – mit recht unterschiedlichem Erfolg. Wie Don Quijote, ausgestattet mit einem scheinbar unerschütterlichen und deshalb fast schon tragischen Optimismus versucht ein ostdeutscher Arbeitsloser noch einmal neu anzufangen. Doch egal, was er sich überlegt, wieviel Engagement und Einsatz er auch zeigt, letztlich wollen sich die auf Seminaren und Videos immer wieder aufgesagten Verheißungen der eBay-Professionals für ihn nicht erfüllen. Das Aufwachen fällt entsprechend schwer, der Kater entsprechend bitter aus.

Traders’ Dreams enttarnt den Traum von einem System ohne Verlierer als eine schöne Chimäre. Es ist vor allem eBays Marketing-Kraft zu verdanken, dass viele den Glauben an einen Wohlstand als Selfmade-Unternehmer nicht aufgeben wollen. Doch – so lehren die Beispiele von Vetter und Tolz – Erfolg ist selbst bei eBay nicht planbar. Und das gilt nicht nur für die über 150 Millionen Nutzer des Auktionshauses, auch eBay selber zieht im Kampf um Marktanteile und neue User schon mal den Kürzeren. Der ehrgeizige Geschäftsmann Jack Ma hat mit seinem Unternehmen Alibaba den übermächtigen Platzhirsch zur Aufgabe seiner China-Dependance bewegen können. In einem nächsten Schritt will er eBay außerhalb Chinas Konkurrenz machen. Klar, dass die erfolgsverwöhnten Kalifornier damit ein Problem haben, gerade weil Ma damit am Image des Siegers kratzt.

Und auf das richtige Image kommt es im eBay-Universum an. Das gilt insbesondere für die jährlich stattfindende Mammutveranstaltung „eBay Live“, einer mehr als skurrilen Form der Selbstbeweihräucherung, die an sektenähnliche Messen oder Motivations-Shows erinnert. Vetter und Tolz setzen die Aufnahmen der von Euphorie und Aktionismus beseelten eBay-Community mit den zumeist reichlich unspektakulären Alltagserfahrungen anderer eBay-Nutzer in ein interessantes Spannungsverhältnis. Dort das scheinbar pure Glück, der Rausch, hier in der Realität der harte Kampf um jede Aktion, um jeden verkauften Artikel. Beides lässt sich nur schwer miteinander in Einklang bringen. Zwei Welten und beides ist eBay.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Juni 21, 2007

Dunkelblaufastschwarz - Spanische Schuld


ESP 2006

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Der junge spanische Filmemacher Daniel Sánchez Arévalo drehte mit Dunkelblaufastschwarz ein etwas anderes Porträt eines Mannes zwischen verspätetem Coming-of-Age und vorgezogener Midlife-Crisis. Mit seiner unverbrauchten, frischen Garde an Nachwuchs-Schauspielern und dem sicheren Gespür für den schmalen Grat zwischen Komik und Tragik zählt sein Werk sicherlich zu den Geheimtipps auf dem aktuellen Programmkino-Spielplan. Zu meiner Besprechung auf Critic.de geht es hier.

Samstag, Juni 16, 2007

Obaba - Im Labyrinth der Eidechsen


D/ESP 2005

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Der spanische Filmemacher Montxo Armendáriz nahm sich Bernardo Atxagas auch außerhalb Spaniens bekannten Bestseller „Obabakoak“ an, der zweifellos zu den modernen Aushängeschildern baskischer Literatur gezählt werden darf. Die besondere Schwierigkeit lag darin, aus den einzelnen Kurzgeschichten eine in sich geschlossene, zusammenhängende Dramaturgie zu entwickeln und dabei den geheimnisvollen Charakter der Vorlage nicht zu verraten. Beides wusste Armendáriz schlussendlich elegant zu lösen.

Filmkritik:

Wer auch immer sich Bernardo Atxagas mythischer Reise in das kleine, idyllisch gelegene baskische Bergdorf Obaba angenommen hätte, es wäre vermutlich ein Leichtes gewesen, seinen Roman „Obabakoak“ als Abfolge einzelner, von einander losgelöster Kurzgeschichten zu inszenieren. Regisseur Montxo Armendáriz entschied sich für einen anderen, ungleich schwierigeren Ansatz. Er wollte dem Zuschauer nicht das Gefühl geben, er sehe nur ein in ein anderes Medium transferiertes literarisches Potpourri. Aus diesem Grund erschuf er die Figur der Studentin Lourdes (Barbara Lennie), die nach Obaba kommt, um einen Videofilm über den Alltag der dort lebenden Menschen zu drehen. Sie ist Identifikationsfigur und zugleich Ausgangpunkt der Handlung.

Bereits auf dem Weg nach Obaba macht sie eine merkwürdige Bekanntschaft. Sie trifft einen Mann mit Namen Ismael (Héctor Colomé) – wie sich später herausstellt, ist es der Eigentümer des örtlichen Gasthauses – der eine Eidechse in Händen hält, während er die Fremde aufmerksam mustert. In Obaba angekommen muss Lourdes ebenfalls nicht lange suchen, bis sie Menschen mit ihren Geschichten begegnet. Eine handelt von einer einsamen Lehrerin (Pilar Lopez de Ayala), deren ganze Sehnsucht sich in den Briefen an ihren Liebhaber verzehrt. Eine andere dreht sich um den alten Tomas (Txema Blasco) und die skurrile Begründung für dessen Taubheit. Seine Schwester Begona (Inake Irastorza) glaubt, dass Ismael ihrem Bruder während der gemeinsamen Schulzeit eine Eidechse in sein Ohr gesteckt hat. Was Lourdes zunächst für absurd hält, scheint ihr später nicht mehr so abwegig, als sie im Gasthaus ein altes Foto entdeckt.

In den einzelnen Episoden eröffnen sich Lourdes ganz unterschiedliche Schicksale. Gemein ist ihnen ein sanfter, melancholischer Ton. Manche wie die des deutschen Ingenieurs (Peter Lohmeyer) und dessen Sohn Esteban (Ryan Cameron) beschwören die Kraft der Imagination, andere lassen sich wiederum als eine filmische bzw. literarische Verbeugung vor der Einsamkeit interpretieren. Die raue Natur der baskischen Bergwelt wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Resonanzkörper, der die Empfindungen der Dorfbewohner verstärkt.

Während die junge Frau immer tiefer in die Vergangenheit des Ortes eintaucht, in das eng verwobene Geflecht aus Geschichten und Mythen, fragt sich auch der Zuschauer, was und wem er glauben kann, was Fiktion ist, und was sich tatsächlich so ereignet hat. Dabei ist das Spiel auf der verwaschenen Trennlinie zwischen Realität und Fantasie, zwischen Gegenwart und Vergangenheit eines der zentralen Elemente von Obaba. Passend dazu beginnt Armendáriz’ Film wie man es gemeinhin von einer David Lynch-Fantasie erwarten würde. Düster, bedrohlich, geheimnisvoll. Doch die über die atmosphärische Fotographie von Javier Aguirresarobe (The Others) etablierte Suspense steht nur für eine Facette dieses vielschichtigen, komplexen Werkes.

Der vielleicht spannendste Aspekt betrifft die von Armendáriz gewählte Form. Über Lourdes’ Perspektive und ihre Videokamera erhält der Zuschauer zunächst einen gefilterten, vorselektierten Einblick in diesen märchenhaften Kosmos. Lourdes’ eigene Wahrnehmung der Dinge schiebt sich zwischen dem, was die Menschen ihr erzählen und dem, was letztlich im Film zu sehen ist. So wird die Technik des Erzählens zu einer alle Geschichten umspannenden Klammer und Obaba zu einer Liebeserklärung an das Kino.

Für Programmkino.de.

Mittwoch, Juni 13, 2007

Hostel 2 - Zurück im Folterkeller


USA 2007

++1/2

Achtung: Der nachfolgende Text basiert auf der ungeschnittenen US-Kinofassung, die von der deutschen Verleihversion abweicht!

Der Erfolg von Hostel hat alle Beteiligten überrascht. Eine clevere Werbekampagne, die gezielt auf die Faszination des Perversen setzte, verbunden mit dem Gütesiegel „Quentin Tarantino präsentiert“ sorgten für volle Kinosäle und entsetzte Zuschauerreaktionen. Mit Eli Roth hatte das amerikanische Genre-Kino plötzlich einen neuen Star, der wie sein Mentor Tarantino mittlerweile selber als eigene Marke beworben wird.

Nun also Hostel zum Zweiten. Dieser wird an den „Love it or hate it“-Faktor seines Vorgängers mühelos heranreichen, soviel steht fest. Denn Roth weiß, was er seinen Fans geben muss, damit die aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, und er weiß, wie er alle Anderen vor den Kopf stößt. Dabei wäre es falsch, Hostel 2 auf seine Gore-Szenen zu reduzieren. Die von den meisten Roth-Hassern herausgestellten Blut- und Gedärmespiele sind nur ein Puzzleteil, das sich in Verbindung mit einer Vielzahl anderer Aspekte zu einem viel größeren Bild zusammensetzt.

In Hostel mussten drei Backpacker am eigenen Leib erfahren, was es heißt, wenn Menschen zu einer austauschbaren Ware degradiert werden, deren Preis sich nach Angebot und Nachfrage bemisst. Während die Jungs zu Beginn ihres Europa-Trips von diesem Prinzip sorglos noch selber Gebrauch machten – käuflicher Sex und Amsterdam, das gehört einfach zusammen – sollte es in den dunklen Katakomben einer stillgelegten Fabrik in der slowakischen Einöde zu einem radikalen Rollenwechsel kommen, der den kapitalistischen Angebot-Nachfrage-Gedanken in sein Extrem steigerte.

Die Fortsetzung scheint zunächst die Struktur des ersten Teils zu kopieren. Beth (Lauren German), Lorna (Heather Matarazzo) und Whitney (Bijou Philips) befinden sich zu Studienzwecken in Italien. Um den Trubel der Metropole Rom zu entfliehen, entscheiden sich die drei Freundinnen, einen Wochenendtrip zu untenehmen. Einer neuen Bekannten (Vera Jordanova) gelingt es, sie zu einem Abstecher in die Slowakei zu überreden. Das dortige Hostel macht auf die Studentinnen anfänglich einen guten Eindruck. Dass sich hinter der schicken Fassade eine unvorstellbare Todesfabrik verbirgt, wird Beth, Lorna und Whitney erst bewusst, als es bereits zu spät ist, und sie sich auf der Schlachtbank wiederfinden.

Roth war offensichtlich daran gelegen, die andere Seite des kranken Handels mit Menschenleben zu beleuchten. So verbringt der Zuschauer in Teil 2 deutlich mehr Zeit mit den Tätern, die sich ihre späteren Opfer wie die Sonderausstattung beim Autokauf aussuchen. Styling, Make-up, die Folterwerkzeuge, alles wird akribisch geplant und organisiert. Wer zahlt, bestimmt, was gespielt wird. In einer der stärksten Szenen des Films, die ohne Blut die ganze Perversion dieser Menschenjagd begreiflich macht, schneidet Roth den Bieterstreit um das Leben eines der Mädchen im Stile eines typischen Werbeclips für eine Internetauktionsseite zusammen. 3,2,1, meins! Treusorgende Familienväter, erfolgreiche Geschäftsleute, sie alle gieren danach, einmal zu töten. Diese Suggestion schockt mehr, als der gesamte nachfolgende Trip in den Folterkeller.

Gäbe es nicht den Ansatz, einmal eingehender hinter die Fassade des „Elite Hunting“-Unternehmens zu blicken, Hostel 2 hätte einem als Kenner des ersten Teils nichts Neues zu erzählen. Aber auch so kommt zuweilen Langeweile auf, weil Roth die gleiche Dramaturgie ein weiteres Mal abspult. Viele der Bilder können aus diesem Grund nicht mehr die Beklemmung und Verstörung des Originals hervorrufen. Man weiß, was hinter den Mauern der zerfallenen Fabrik vor sich geht, der Überraschungseffekt fällt weg.

Die viel diskutierten Gewaltexzesse wirken in der ungeschnittenen US-Kinofassung bis auf wenige Ausnahmen erstaunlich gemäßigt. Dass der deutschen FSK vor allem zwei Szenen, die Sex und ausgelebte Gewaltfantasien vermischen, ein Dorn im Auge waren, ist offenkundig. Beide dürften für die deutsche Version komplett herausgeschnitten werden, was der Frustration der hiesigen Horror-Gemeinde unweigerlich neuen Vorschub leistet. In jedem Fall wurde das, was in der amerikanischen Kinofassung zu sehen ist, von Oscar-Preisträger Howard Berger und Gregory Nicotero perfekt arrangiert. Die Make-up-Spezialisten und Effekt-Designer lassen – wenn man das sagen kann – genüsslich das Blut aus den unterschiedlichen Körperöffnungen spritzen, Körperteile zersägen und zerhacken.

Es mag paradox klingen, aber trotz seiner simplen Story empfiehlt sich Hostel 2 als Schauspielfilm. Roth gelang es, einen außergewöhnlichen Cast zu versammeln, dessen Qualität nicht nur im Horror-Genre herausragt. Der aus der amerikanischen Erfolgsserie Desperate Housewives bekannte Richard Burgi mimt den anfänglich von Skrupel geplagten Schlächter mit einer beängstigenden Kälte, aber auch sein Kollege Roger Bart ist nicht minder überzeugend. Unter den weiblichen Darstellern darf Lauren Germans und Heather Matarazzos kompromissloser (körperlicher) Einsatz nicht unerwähnt bleiben. German übernimmt quasi Jay Hernandez’ Part aus Teil 1. Sie holt zum Gegenschlag gegen ihren Peiniger aus, in dem sie sich die Regeln des pervertierten Systems selber zu Nutze macht.

Das größte Problem von Hostel 2 bleibt dennoch, dass Roth zu sehr dem zweifellos genialen, seinerzeit innovativen Konzept aus Teil 1 vertraut. Überhastet und mit heißer Nadel gestrickt, scheint die Zeit zwischen beiden Filmen einfach zu kurz gewesen sein.

Erschienen bei BlairWitch.

Samstag, Juni 09, 2007

Strange Circus - Bittere Pille


JPN 2005

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Der japanische Filmemacher Sion Sono hat augenscheinlich ein Faible für das Abseitige, Bizzare, Groteske. Ihn interessieren die Abgründe, die Täler, die sich in jedem von uns auftun können. Das Gute, das Schöne, das Wahre erfahren in seinem Universum eine radikale Umdeutung. In Sonos Welt stellen sie das Bizarre und Sonderbare dar. Ganz einfach, weil es sie eigentlich nicht gibt, geben darf. Wie schon in seinem auch hierzulande äußerst populären Vorgänger Suicide Circle hangelt sich auch Strange Circus an den Abgründen der menschlichen Seele entlang. Im direkten Vergleich fällt jedoch bei seinem neuesten Werk die überstilisierte Ästhetik auf, die den Film in eine Twilight Zone zwischen Traum und Traumata eintauchen lässt.

Man kommt nicht umhin, bei einem Text über Sono den Namen David Lynch zu erwähnen. Zu offensichtlich gestalten sich die Parallelen zwischen beiden. Und so, wie es bei einem „typischen“ Lynch keinen Sinn macht, dessen Inhalt zu referieren, so unnütz erscheint eine Nacherzählung der Handlung auch bei Strange Circus (wobei dies der Vollständigkeit halber im nächsten Absatz versucht werden soll). Zumal ohnehin zunächst nicht klar ist, was hier wirklich gespielt wird, was real ist und was nicht. Unter außer Achtlassung mancher stilistischer und inhaltlicher Schnörkel ließe sich Strange Circus am ehesten als Missbrauchs- respektive Familien-Drama mit Anflügen eines tiefschwarzen Humors und psychologischer Falltüren umschreiben.

Eine erfolgreiche Romanautorin namens Taeko (Masumi Miyazaki) arbeitet an einer Geschichte über ein 12jähriges Mädchen (Rie Kuwana), das die eigene Kindheit als Hölle auf Erden erfährt. Mitsuko muss ihre Eltern beim Sex beobachten, eingesperrt in einen Cellokasten. Doch damit nicht genug. Es kommt zu einem Rollentausch. Ihr sadistischer Vater vergewaltigt Mitsuko vor den Augen ihrer Mutter, die wiederum aus dem Koffer heraus zusieht. Immer und immer wieder. Taeko schildert das Martyrium dieses Mädchens derart plastisch und schonungslos, dass uns alsbald eine fürchterliche Ahnung beschleicht. Was wäre, wenn Mitsuko nicht nur eine Romanfigur ist? Schreibt Taeko in Wahrheit die Geschehnisse ihrer eigenen Kindheit auf?

Mit aller Macht will uns Sono eine solche Lesart einbläuen. Das monothematische Voice Over-Muster wiederholt Mitsukos Gedanken wie „Ich bin meine Mutter und meine Mutter ist ich!“, was die Identitätsfrage wenig subtil in das Zentrum des Films stellt. Im Unterschied zu Lynch liegt Sono jedoch nichts daran, Fragen offen und unbeantwortet zu lassen. Auch wenn es anstrengender und unbequemer sein mag, die Puzzlearbeit ganz dem Zuschauer zu überlassen – und damit zugleich die Interpretation des Films – es hätte Strange Circus besser zu Gesicht gestanden. Stattdessen darf in einer knapp 20minütigen Auflösung alles aufgearbeitet und erklärt werden.

Zum Ende hin spielt Sono nochmals mit dem bekannten „War alles nur ein Traum?“-Stilmittel, das in einem vergleichbaren Kontext auch von Japans Regie-Exzentriker Takeshi Miike in seinem Meisterstück Audition eingesetzt wurde. Die Verquickung von sexuell aufgeladenen Fantasien und blutigen Einsprengseln rückt Sono ohnehin in die Nähe von Miike. Wie dieser versucht Sono, die Schmerzgrenze des Zuschauers über bizarre Einfälle und kurzen dafür aber umso heftigeren Nadelstichen des Perversen zu attackieren. Dass er hierfür die Charaktere ihrer durchaus realistischen Erdung berauben muss, scheint er in Kauf zu nehmen. Zu grotesk ist das, was er uns in letzter Konsequenz anzubieten hat.

Natürlich soll die knallbunte Präsentation, die Glitzerwelt des titelgebenden schrägen Zirkus und die suggestive Farbästhetik mit der eigentlichen Handlung und dessen tragischen Sujet kollidieren. Der Film bezieht gerade seinen Reiz aus dem Wechselspiel dieser Pole – Form und Inhalt – die sich auf einer psychologischen, nicht-kognitiven Ebene treffen. Die karnevaleske Verpackung ist da nur das Eyecandy, über das Sono uns seine bittere Pille verkauft.

Für BlairWitch.

Mittwoch, Juni 06, 2007

Ocean's 13 - Alles auf Anfang


USA 2007

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Die Jungs um Danny Ocean (George Clooney)treten erneut an, um mit der ihr eigenen Coolness den großen Coup zu landen. Dieses Mal ist es eher eine Racheaktion. Kein Geringer als Al Pacino in der Rolle des geldgierigern Hoteliers Willy Bank verkörpert ihr Opfer. War Teil 2 eher eine etwas lahme, krude Schnitzeljagd durch Old Europe, so kann der neueste Ocean wieder mit vielen Qualitäten des Originals punkten. Herausgekommen ist ein belangloser Spaß, der bestens unterhält. Meine Gedanken zu Ocean's 13 lassen sich auf evolver nachlesen.

Freitag, Juni 01, 2007

The Namesake - Zu Gast bei Freunden


KAN 2006

+++1/2

Die gebürtige indische Filmemacherin Mira Nair gehört seit Festival- und Publikumserfolgen wie Salaam Bombay! und Mississippi Masala zu den Garanten anspruchsvoller Kinounterhaltung. Für ihren neuen Film, The Namesake, adaptierte sie den gleichnamigen Bestseller von Jhumpa Lahiri, der von einem Leben zwischen zwei Kulturen – der indischen und der amerikanischen - berichtet. Eingebettet in eine Zeitspanne von drei Jahrzehnten erzählt Nair die Chronik einer Ende der 70er Jahre in die USA ausgewanderten Familie. Das Resultat überzeugt – in vielfacher Hinsicht.

Filmkritik:

Für Ashoke Ganguli (Irrfan Khan) waren die USA immer das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Nach der arrangierten Hochzeit mit der hübschen Sängerin Ashima (Tabu) entschließt er sich, seine Heimat Kalkutta zu verlassen und mit seiner Frau in New York ein neues Leben zu beginnen. Die Gegensätze könnten dabei nicht größer sein. Aus dem heißen, schwülen Indien verschlägt es das junge Paar in den kalten Winter an der amerikanischen Nordostküste. Zunächst fühlen sie sich als Fremde in einer für sie so ganz anderen Gesellschaft, die mit der indischen kaum etwas gemein zu haben scheint. Es dauert nicht lange bis Ashoke und Ashima Nachwuchs erwarten. Ein Sohn, den sie Gogol nennen – in Anlehnung an den berühmten russischen Literaten, mit dem Ashoke einen Schlüsselmoment seines Lebens verbindet – und eine Tochter mit Namen Sonia lassen aus dem Paar eine Familie werden.

Über die Jahre werden die Gangulis Stück für Stück ein Teil dieser amerikanischen Gesellschaft, die sich aus so vielen Zuwanderern unterschiedlicher Herkunft zusammensetzt. Sie haben es zu einem gewissen Wohlstand gebracht und wohnen in ihrem eigenen Haus in einem der schicken ruhigen Vororte New Yorks. Obwohl die Familie auch Bekannte und Freunde außerhalb ihres eigenen Kulturkreises gefunden hat, stellen die Zusammenkünfte mit anderen indisch stämmigen Immigranten das wichtigste Element ihrer sozialen Kontakte dar. Gogol (Kal Penn), der sich lieber Nick nennt, fühlt sich hin- und hergerissen zwischen den von seinen Eltern weiterhin gepflegten bengalischen Traditionen und einem Leben als ganz normaler amerikanischer Teenager.

Als eine Regisseurin mit indischen Wurzeln, die vornehmlich in den USA lebt und arbeitet, war Mira Nair geradezu prädestiniert für diesen gemessen an der Zeitspanne von über dreißig Jahren epischen Stoff. Nicht nur, dass sich ihr damit die Gelegenheit bot, ein Porträt der von ihr so geliebten quirligen Metropolen New York und Kalkutta in einem Film zu vereinen, auch die von Lahiri aufgegriffenen Themen wie die Suche nach der eigenen und der Umgang mit einem persönlichen Verlust sprachen Nair aus der Seele.

The Namesake lässt den Zuschauer ganz unmittelbar an einem Kapitel amerikanischer Geschichte teilhaben, das für diese Nation ebenso typisch ist wie die Zeit der Besiedelung oder die des Bürgerkriegs. Immigranten aus allen Teilen der Welt suchten und suchen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nach dem, was oftmals leicht verkitscht unter dem Begriff des „American Dream“ zusammengefasst wird. Nair portraitiert dabei mit spürbarer Hingabe eine Familie von Grenzgängern, die sich in zwei Welten behaupten muss. Jeder, aber ganz besonders der von Kal Penn verkörperte Sohn, ist fortwährend gezwungen, sich jeweils anderen Realitäten zu stellen.

Zu gleichen Teilen universale Familienchronik und ungewöhnliche Coming-of-Age-Story zeichnet sich The Namesake durch seinen unvoreingenommenen Blick auf In- und Ausländer, Immigranten und Amerikaner, Jung und Alt aus. Ohne die vorhandenen Probleme auszublenden, besticht Nairs Film durch seine ansteckende optimistische Grundstimmung. Die stoffimmanenten Sprünge in der Narration lösen sich dabei zu keiner Zeit in einer beliebigen Erzählhaltung auf. Nair und ihre Darsteller bringen uns vielmehr dazu, umgehend eine Karte für die nächste Vorstellung lösen zu wollen. Nachdem der Abspann einsetzt und die anrührende Widmung „To our Parents, who gave us everything“ zu lesen ist, verfestigt sich der Eindruck, für zwei Stunden ein willkommener Gast in einer anfänglich vollkommen fremden Familie gewesen zu sein.

Für Programmkino.de.