Donnerstag, Dezember 30, 2010

Poll - Die Buddenbrooks vom Baltikum


D 2010

+++1/2

Poll, der neue Film von Chris Kraus („Vier Minuten“), beleuchtet wie schon Michael Hanekes Das weiße Band einen spannenden Ausschnitt europäischer Geschichte zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das Anwesen einer deutschen Aristokratenfamilie an der baltischen Ostseeküste wird darin zum Schauplatz tiefgreifender Veränderungen. Bildgewaltig und erstklassig besetzt erzählt Kraus eine düstere Familienchronik, in der sich Elemente eines morbiden Märchens mit denen eines Vorkriegsdramas vermischen.

Filmkritik:

Mit ihren 14 Jahren verlässt die heranwachsende Oda von Siering (Paula Beer) im Sommer des Jahres 1914 Berlin Richtung Baltikum. Dort, an der estnischen Ostseeküste, lebt ihr Vater Eddo (Edgar Selge) mit seinen anderen Kindern und Odas Tante Milla (Jeanette Hain) auf dem seltsam verfallenen Adelsgut Poll. In der entlegenen Provinz des Zarenreiches treffen Deutsche, Russen und Balten aufeinander. Ihre Begegnungen sind meist von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen geprägt. Wie ein dunkler Schatten liegt über allem die Vorahnung fundamentaler Umwälzungen, die das Leben der Familie von Siering und ihrer Nachbarn für immer verändern soll.

In dieser angespannten und bisweilen bedrohlichen Lage sucht die junge Oda eine Möglichkeit zur Flucht. Der Zufall kommt ihr dabei zur Hilfe. Auf dem Anwesen begegnet das Mädchen einem estnischen Widerstandskämpfer (Tambert Tuisk), der sich dort vor den Russen versteckt hält und dem sie zunächst bei der Behandlung einer Verletzung hilft. Zwischen dem jungen Mann, der sich Oda unter dem Namen „Schnaps“ vorstellt, und dem Mädchen entwickelt sich alsbald ein besonderes Vertrauensverhältnis. Ihr mit Strenge über Poll herrschender Vater ahnt indes nicht, mit wem und wo seine Tochter unzählige Stunden verbringt. Ihn beschäftigen vielmehr seine vermeintlich wissenschaftlichen Forschungen rund um die Anatomie des menschlichen Körpers. In seinem abgeschirmten, mit allerlei gruseligen Präparaten ausstaffierten Laboratorium seziert er Leichen auf der Suche nach verqueren Antworten.

Es ist eine seltsame, zu gleichen Teilen faszinierende wie unheimliche Welt, in die uns Filmemacher Chris Kraus in seinem visuell außergewöhnlichen Vor-Weltkriegsdrama Poll entführt. Schon der Anblick des inzwischen auf morschen Stelzen stehenden Haupthauses mit seiner imposanten, klassizistischen Fassade kann den Betrachter förmlich erschlagen. An diesem Ort, direkt an der rauen Küste, vollziehen sich eine Vielzahl folgenschwerer Veränderungen, die uns Kraus durch die Augen einer ganz besonderen Heranwachsenden näherbringt. Es ist die Sicht eines pubertierenden Mädchens, das später als Oda Schaefer in die deutsche Literaturgeschichte eingehen soll. Ihre von Unsicherheit und Angst geprägte Adoleszenz verknüpft der Film mit einer atmosphärischen Milieuschilderung, bei der man zuweilen glaubt, Teil eines dunklen Märchens zu sein.

Übertragen auf die Literatur wirkt die entlegene Gegend um Poll wie eine Ostsee-Variation des „Zauberbergs“. Der Tod ist in beiden Geschichten allgegenwärtig. Während sich am Horizont bereits der Schrecken des Ersten Weltkrieges ankündigt, forscht Odas Vater wie ein Besessener an Leichen und deformierten Körpern. Sein Laboratorium weist dabei den Weg in eine gefährliche Sackgasse. Es ist letztlich ein Irrweg, bei dem ein Mann glaubt, das Wesen eines Menschen an dessen Gehirnform festmachen zu können. Wohin solche und andere krude Thesen später noch führen werden, ist hinlänglich bekannt. Das morbide Element durchzieht Kraus’ Film wie ein roter Faden, an dem alle Episoden dieser vom Verfall gekennzeichneten Epoche letztlich festgemacht sind.

Nicht wenige Filme wollen große Geschichten erzählen. Allein den wenigsten gelingt dieses Kunststück. Poll gehört zweifelsfrei dazu. Bereits die Bildsprache stellt den dafür notwendigen Mut unter Beweis. Die Kamera von Daniela Knapp scheut nicht das Monumentale, wenn sie entfesselt über das Anwesen der von Sierings kreist und so den bröckelnden Glanz dieser Aristokratenfamilie im Lichte einer untergehenden Sonne einfängt. Das sind Kinobilder, wie man sie im deutschen Film leider viel zu selten findet – gemacht für eine große Leinwand. Veredelt wird diese aufwändige und mutige Produktion von einem Ensemble, das im Zusammenspiel keinen einzigen Misston erkennen lässt. Vor allem die junge Paula Beer und ihr Filmvater Edgar Selge, der Ebbo von Siering mit einer beängstigenden Kälte und Konsequenz verkörpert, dürften bei künftigen Preisverleihungen im Mittelpunkt stehen.

Für Programmkino.de.

Dienstag, Dezember 28, 2010

Das Labyrinth der Wörter - Französisches Idyll


F 2010

++1/2

In der französischen Provinz, wo jeder noch jeden kennt und man sich nach Feierabend wie selbstverständlich in seinem Stammlokal zum Austausch über Gott und die Welt trifft, spielt der neue Film von Jean Becker (Dialog mit meinem Gärtner), in dem Sprache mehr als nur der Kommunikation dient. Als Beobachter anrührender bis urkomischer Alltagssituationen lässt er darin einen gutmütigen, aber ungebildeten Aushilfsarbeiter die Bekanntschaft einer kultivierten, alten Dame machen. Gérard Depardieu und die 96-jährige Gisèle Casadesus bügeln mit ihrem Charme so manche Schwachstelle des nur bedingt originellen Drehbuchs souverän aus.

Filmkritk:

Wenn Gérard Depardieu, gekleidet in einen Blaumann, etwas unbeholfen in Jean Beckers Das Labyrinth der Wörter die Straßen eines kleinen, namenlosen Städtchens in der französischen Provinz entlang spaziert, fällt es schwer, spontan nicht an seine Rolle als Obelix zu denken. Depardieu ist das Aushängeschild des französischen Films und überall, wo er auftaucht, ein echter Star. Und er wird nicht müde, in kleinen wie großen Filme mitzuwirken. Auch mit inzwischen 62 Jahren denkt der Liebhaber eines guten Weins offenkundig nicht daran, sein gewaltiges Arbeitspensum herunterzuschrauben. So war und ist er allein dieses Jahr wieder in fünf Hauptrollen zu sehen.

Sein Part in dieser kleinen, heiter-melancholischen Produktion ist die des uneingeschränkten Sympathieträgers. Depardieus Germain hat bislang nicht viel Glück im Leben gehabt und doch ist er keineswegs missmutig oder verbittert. Er erscheint vielmehr wie der Prototyp des sanften, tollpatschigen Riesen, dessen gutes Herz auf seine Umwelt ausstrahlt und das ihn bei allem, was er erlebt, niemals im Stich lässt. Germains Leben spielt sich vornehmlich zwischen Gelegenheitsjobs, seinem Stammlokal und einem zu seinem Zuhause umfunktionierten alten Wohnwagen hat. Im Haus nebenan lebt seine alte Mutter (Claire Maurier), um die er sich nach wie vor kümmert.

Eines Tages begegnet er im Park einer 90-jährigen, sehr zierlichen und eleganten Dame. Margueritte (Gisèle Casadesus) liebt es so sehr wie er, die Tauben zu beobachten. Und sie liebt die Literatur. Germain hingegen besitzt kein einziges Buch. Er ist praktisch Analphabet, was seiner Neugier jedoch keinen Abbruch tut. Als sie ihm einige Passagen aus Albert Camus’ „Die Pest“ vorliest, schließt er plötzlich die Augen, um jedes ihrer Worte ganz genau nachempfinden zu können. Für Germain und Margueritte beginnt mit diesem stillen Moment eine wunderbare, tiefe Freundschaft.

Jean Becker setzt mit dieser leisen Geschichte die lange Tradition seiner ruhigen, beinahe schwerelosen Erzählungen über die Idylle des Landlebens und der einfachen Leute fort. Es passiert nicht viel im Laufe dieser 82 Minuten und obwohl dies so ist, haben Langeweile und Stillstand in Das Labyrinth der Wörter keinen Platz. Wie für eine Geschichte über die Kraft und Poesie unserer Sprache nicht unüblich, spielt sich das Wesentliche in den Köpfen, Gedanken und Vorstellungen der Figuren ab. Es ist ein Film-im-Film, in den sich Germain und – zusammen mit ihm – auch wir uns begeben. Die Freundschaft zu Margueritte verändert ihn, was insofern nicht überrascht, als dass die ganze Anlage des Films auf diesen Wandel von Beginn an ausgerichtet zu sein scheint. Aber selbst die äußerst belesene und gebildete Margueritte kann von ihrer Parkbekanntschaft noch etwas lernen.

Dennoch lässt sich aus der Figurenkonstellation auch eine gewisse kulturelle Überheblichkeit herauslesen. Hier ist jemand, der wie ein kleines Kind eine neue Welt entdeckt und der gleichzeitig seinen begrenzten Erfahrungs- und Bildungshorizont nie als wirklich einengend oder gar ungerecht erlebt hat. Erst der Bildungsbürger macht ihn auf das, was er verpasst hat, aufmerksam – in Form eines Nachschlagewerks der französischen Sprache. Dass diese Schieflage am Ende nicht stärker ins Gewicht fällt, hat man weniger Beckers konventioneller Regie als den beiden Hauptdarstellern zu verdanken. Depardieu ist für die Rolle des gutmütigen Germain vermutlich schon aufgrund seiner Physiognomie die Idealbesetzung. Zusammen mit seiner Filmpartnerin, der 96-jährigen (!) Gisèle Casadesus, verleiht er Beckers bisweilen etwas geschwätzigem Film eine Seele, deren aufrichtige, ehrliche Wärme ganz intuitiv und ohne große Worte verstanden werden dürfte.

Für Programmkino.de.

Freitag, Dezember 24, 2010

Mein Kinojahr 2010 - Top 10


10. Banksy – Exit through the Gift Shop
Gab es dieses Jahr eine clevere und zugleich unterhaltsamere Mockumentary? Wohl kaum. Das Portrait der Street-Art-Szene und ihrer Protagonisten gab einen Einblick in die Mechanismen des Kunstmarktes und war dabei sogar als Satire ein echter Durchmarsch.

9. Mother
Koreanisches Kino, das sich vor nichts und niemandem zu verstecken braucht. Ein packender Psycho-Krimi mit einer exzellenten Hauptdarstellerin und Bildern, die noch lange nachwirken.

8. The Social Network
Ein Film über Facebook? Eher nein. Ein Film über ein arrogantes Genie? Schon eher. Mit brillanten Dialogen und dem vielleicht besten Ensemble des Jahres schuf David Fincher den ultimativen Zeitgeist-Film.

7. In ihren Augen
Ein echter altmodischer Krimi. Der Oscar-Preisträger aus Argentinien zeichnete sich durch seine intensive, nahezu perfekte erzählte Geschichte und ein emotionales, überaus aufwühlendes Finale aus. Dazu gab es den coolsten Ermittler in 2010.

6. Mary & Max
Für mich, der Toy Story 3 bislang nicht gesehen hat, war dieser hier mit Abstand der beste Animationsfilm des Jahres. Ein kleines Mädchen und ein alter Misanthrop beginnen darin eine mehr als ungewöhnliche Brieffreundschaft. Liebevoll animiert, herzergreifend, komisch, tieftraurig. Mary & Max war alles und das zu 100%.

5. Ein Prophet
Französisches Genre-Kino wie man es vollendeter kaum machen kann. Ein knallharter Crime-Thriller über eine brutale Welt, in die wir mit jeder Szene mehr hineingezogen werden. Nahezu perfekte Filmkunst!

4. Von Menschen und Göttern
Noch einmal Frankreich. Die auf wahren Ereignissen beruhende Geschichte über eine Gruppe Trappisten-Mönche, die unter bis heute ungeklärten Umständen verschleppt und vermutlich ermordet wurden, ist ein flammendes Plädoyer für Toleranz und Verständigung und gegen Fanatismus und Hass.

3. Kick-Ass
Der Superheldenfilm des Jahres! Superb fotografiert, mit zahlreichen ungewöhnlichen Regie-Einfällen und zwei jungen, großartigen Nachwuchsdarstellern. Popkorn-Kino mit maximalem Unterhaltungswert!

2. A Single Man
Colin Firth brilliert als vom Leben verletzter Professor, der um die Liebe seines Lebens trauert. Tom Ford ist auch hinter der Kamera ein Meister seines Fachs. Schönere Bilder gab es 2010 im Kino nicht zu bestaunen. Dazu ein Soundtrack zum Niederknien.

1. Inception
Blockbuster-Kino aus einem anderen Universum. Bilder, die man so schnell nicht vergessen wird, und eine Geschichte, die wie Schicht um Schicht Neues zum Vorschein bringt. Kino als Erlebnis und das ganz ohne 3D!


Runners-Up (Top 20 in beliebiger Reihenfolge): The Road, Die etwas anderen Cops, Crazy Heart, The American, Die Beschissenheit der Dinge, Mr. Nobody, Einfach zu haben, Fish Tank, Same same but Different, Buried.

Enttäuschungen: Miral, The Expendables, In meinem Himmel, The Kids are allright, Somewhere.

Und damit wünsche ich allen Lesern ein frohes, ruhiges und besinnliches Weihnachtsfest!

Mittwoch, Dezember 22, 2010

Rare Exports - Finnische Weihnachten


FIN 2010

+++


Im hohen Norden gehen die Uhren anders und vor allem langsamer. Das weiß man spätestens seit den Filmen Aki Kaurismäkis. Gerade dem Finnen wird ein Hang zur stoischer Gelassenheit, Sprachlosigkeit und tiefer Melancholie nachgesagt. Dort, wo der Winter kalt und dunkel und der Sommer meist recht kurz ist, lebt ein ganz eigener Schlag Menschen. Diesen Beweis erbringt auch Jalmari Helanders etwas andere Weihnachgeschichte Rare Exports, die durchaus als Gegenentwurf zu den klassischen Erzählungen zum Fest der Feste verstanden werden kann. Denn statt einer heilen Welt, Frieden auf Erden und prachtvoll geschmückter Tannenbäume präsentiert uns Helander seine Version des Weihnachtmann-Mythos. Und die hat es in sich.

Schon der Beginn ähnelt mehr einem Mystery-Thriller, als dass man ihn mit einem Weihnachtsfilm in Verbindung bringen würde. Da beobachten zwei Jungs wie Mitarbeiter einer Minenfirma bei Bohrungen augenscheinlich auf etwas Ungewöhnliches stoßen. Was genau es ist, das können der kleine Pietari (Onni Tommila) und sein bester Freund Juuso (Ilmari Järvenpää) zunächst nicht erkennen. Als sie jedoch wenig später alle Rentiere der Herde abgeschlachtet auffinden, wissen sie, dass sie es hier mit einer ernstzunehmenden Gefahr zu tun haben. Selbst Pietaris Vater (Jorma Tommila), der den Schilderungen seines Sohnes zunächst keinen Glauben schenken wollte, ist plötzlich fest entschlossen, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Eine aufgestellte Falle soll das Rätsel um das Renntiermassaker lösen.

Die Idee zu Rare Exports verarbeitete Helander bereits in zwei mehrfach preisgekrönten Kurzfilmen, in denen an dem gerade in diesen Tagen allgegenwärtigen Santa-Claus-Denkmal auf sehr schräge und zugleich charmante Art gerüttelt wurde. Der nun vorliegende Kinofilm spielt zeitlich vor den Shortys, die im Gegensatz dazu als Werbe- und Image-Videos der fiktiven Weihnachtsmann-Firma „Rare Exports Inc.“ gestaltet worden. Da es bereits der Trailer verrät, fällt es vermutlich nicht unter eine Spoiler-Warnung, wenn man Helanders Santa Claus als nackten, verwahrlosten und gefährlichen Wilden beschreibt. Diese Figur ist somit das genaue Gegenteil des gutmütigen, großväterlichen Geschenkeüberbringers, als den wir ihn seit unserer Kindheit immer wieder vorgestellt bekamen.

Was die Geschichte auszeichnet, ist jedoch keine simple Dekonstruktion eines Heiligen. Es ist vielmehr die liebevolle Art der Zerlegung, die Rare Exports so unterhaltsam und einnehmend macht. Bereits die mit einem Augenzwinkern vorgetragenen Beobachtungen abseits des Weihnachtsmanns-Inhalts zeugen von Helanders tiefer Liebe zu seiner Heimat und ihren mitunter skurrilen Bewohnern. Pietaris Verwandlung vom schüchternen Mitläufer zum selbstbewussten Anführer, der am Ende sogar den Erwachsenen sagt, was zu tun ist, nutzt der Film für eine echte Charmeoffensive, der man auch als Skeptiker eines Anti-Weihnachtsfilms-Films früher oder später erliegt. Helander weiß, dass es nicht genügt, eine knapp 90-minütige Geschichte allein auf einer möglichst schrägen Prämisse aufzubauen. Man muss diese auch in ein Gerüst einbauen, das für sich alleine (be-)stehen kann.

In diesem Fall ist es der kleine, mutige Pietari und dessen abenteuerlicher Plan zur Zähmung eines wilden, alten Mannes samt Gefolge, über den Rare Exports erst so richtig den Zugang zu seinem Publikum findet. Denn auch jeder Gegenentwurf zum Schmalz und Kitsch des ansonsten ziemlich idealisierten Weihnachtsfestes kommt nicht ohne eine gewisse Portion Schmalz und Kitsch aus (wobei Helander uns beides glücklicherweise in nur sehr geringen Dosen zumutet). Diese Regel befolgte sogar Terry Zwigoffs Bad Santa und der war ansonsten alles andere als Schwiegermutter-kompatibel. Wer die Kurzfilme nicht kennt, dürfte zudem über die inhaltliche Hinführung zu diesen schmunzeln. Hieraus erklärt sich schließlich auch der Titel des Films.

Nicht alles, was Helander erzählen will, geht auch auf. Nach einem starken Beginn und einem noch besseren Ende leistet sich der Film im Mittelteil doch einige Durchhänger. Die Konditionsschwächen sind letztlich aber nur vorübergehender Natur. Später zieht Helander die Zügel wieder spürbar an, wobei sein spezieller Humor die weiße Winterlandschaft allmählich tiefschwarz färbt. Hinzu kommen mehr als nur einige Spritzer Blut, die bei der ungewöhnlichen, ganz und gar unweihnachtlichen Weihnachtsaktion vergossen werden. Gefilmt – auch das soll nicht unerwähnt bleiben – wurde all dies mit großer Eleganz. Dass die Bilder der schneebedeckten, finnischen Landschaft eigentlich mehr in ein harmloses Wintermärchen passen, ist nur eine weitere, böse Pointe dieses erfrischend unkorrekten Weihnachtsfilms.

Erschienen bei BlairWitch.de.

Montag, Dezember 20, 2010

Die Chroniken von Narnia - Die Reise auf der Morgenröte


USA 2010

++1/2

Bereits zum dritten Mal heißt es: Auf nach Narnia! Das von C.S. Lewis erdachte Fantasiereich erstrahlt in seiner neuesten Auflage in drei Dimensionen. Mit neuem Regisseur und alter Besetzung blieb man trotz des Schauplatzwechsels auf ein stolzes Segelschiff dem Geist der beiden Vorgänger treu. Weiterlesen auf Koeln.de.

Donnerstag, Dezember 16, 2010

Von Menschen und Göttern - Einsame Entscheidung


F 2010

+++1/2

Mit der in den neunziger Jahren erfolgten und bis heute nicht aufgeklärten Ermordung der Trappisten-Mönche von Tibhirine befasst sich Xavier Beauvois’ Von Menschen und Göttern. In meditativen Bildern und im Rhythmus der choralen Gebete des Ordens erzählt Beauvois eine ergreifende Geschichte, in der Mut, Mitmenschlichkeit und religiöse Toleranz als fundamentale Werte allgegenwärtig sind. Bei den Filmfestspielen von Cannes gab es dafür den „Großen Preis der Jury“. Von Menschen und Göttern wird von Frankreich zudem in das Oscar-Rennen um den „Besten fremdsprachigen Film“ geschickt.

Filmkritik:

Das Atlas-Gebirge erstreckt sich von Marokko im Westen über Algerien bis nach Tunesien. Es ist eine schroffe, zugleich faszinierende Landschaft, geprägt von kleinen Dörfern und Siedlungen und einer mühsamen, meist nicht sonderlich ertragreichen Landwirtschaft. In dieser felsigen Umgebung erscheint das malerische, liebevoll gepflegte Kloster der Trappisten-Mönche von Tibhirine wie ein kostbares Refugium der Ruhe und des Friedens. Tatsächlich ist das Dorf unterhalb des Klosters mit diesem über die Jahrzehnte gewachsen. Zwischen den Mönchen und der einheimischen Bevölkerung besteht ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Die Geistlichen bieten ihre Hilfe bei medizinischen Problemen und anderen, auch zwischenmenschlichen Nöten an, im Gegenzug werden sie regelmäßig zu Familienfesten und anderen Feierlichkeiten eingeladen.

Doch diese friedliche Idylle ist bedroht. Seitdem islamistische Rebellen immer wieder die Gegend um das Kloster aufsuchen und dabei zuletzt sogar eine Gruppe kroatischer Gastarbeiter ermordeten, spüren die Mönche, dass auch ihr Leben ernsthaft in Gefahr ist. Die Behörden legen ihnen dann auch nahe, Tibhirine möglichst bald zu verlassen. Die Gemeinschaft unter der Leitung des engagierten Abts Christian (Lambert Wilson) ist gespalten. Ein jeder fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der Angst vor dem, was da auf sie zukommen mag, der Verpflichtung, den Menschen gerade in dieser schwierigen Lage beizustehen und dem mutigen Bekenntnis, sich nicht von Terroristen die eigenen Entscheidungen diktieren zu lassen.

Regisseur Xavier Beauvois erzählt eine tragische und zugleich wahre Geschichte über eine Gemeinschaft, die auch im Angesicht einer konkreten Bedrohung ihre Prinzipien von Solidarität und Nächstenliebe nicht vergisst. Das bis heute nicht gänzlich aufgeklärte Verbrechen an den Trappisten-Mönche von Tibhirine, die im Jahr 1996 vermutlich von fanatischen Islamisten verschleppt und umgebracht wurden, lehrt viel über Mut, Willenstärke und Mitmenschlichkeit. Und es zeigt, was passiert, wenn Hass und Verblendung Überhand nehmen. Trotz seines brisanten Themas vermeidet Beauvois’ gerade zum Ende hin hochemotionaler Film vorschnelle Schuldzuweisungen und Erklärungen. Auch wird der Islam keineswegs mit den Gräueltaten der Terroristen gleichgesetzt. Von Menschen und Göttern lässt vielmehr klar erkennen, dass die Religion von manchen nur als Vorwand für ihre Interessen missbraucht wird. Letztlich sind die Mönche – und nicht nur sie – Opfer eines blutigen Krieges zwischen der korrupten algerischen Regierung und religiösen Fanatikern.

Beauvois wählte für seine in gewissen Momenten durchaus auch hoffnungsvolle Geschichte die wohl beste, weil passgenaueste Form. Das asketische, karge Leben der Mönche, ihr streng nach sieben Stundengebeten ausgerichteter Tagesablauf, all das fand in der Narration und Bildästhetik seine filmische Entsprechung. Die zahlreichen, wiederkehrenden choralen Gebete und Gesänge erzeugen hierbei wie die übrigen Alltagsbeobachtungen einen beinahe kontemplativen Erzählrhythmus, dessen schroffe Unterbrechung mittels Gewalt und Terror umso mehr erschüttert.

Wie schon in Philip Grönings Dokumentation Die große Stille über das Kartäuserkloster „La Grande Chartreuse“ öffnet die authentisch nachgestellte Ruhe des Klosterlebens das Tor zu einer anderen, den meisten von uns fremden Welt. Ob die von Beauvois zum Ende hin forcierte Anlehnung an das letzte Abendmahl zwingend notwendig gewesen wäre, darf indes bezweifelt werden. Die emotionale Aufdringlichkeit dieser mit Tschaikowskys Schwanensee unterlegten Szene, in der aus ehrbaren Männern plötzlich Martyrer gemacht werden, ist jedoch nicht mehr als ein kleiner Makel an einem ansonsten nahezu perfekten Film.

Erschienen bei Programmkino.de.

Dienstag, Dezember 14, 2010

The Tourist - Tod in Venedig


USA 2010

++

Florian Henckel von Donnersmarck (Das Leben der Anderen) hat den Sprung nach Hollywood geschafft. Er arbeitet nun mit Superstars wie Angelina Jolie und Johnny Depp zusammen und darf für seinen neuen Film mal eben über ein Budget von 100 Mio. Dollar verfügen. Das Resultat ist ein (zu) leichter, ziemlich altmodischer Katz-und-Maus-Thriller vor Fototapeten-Kulisse – in mehrfacher Hinsicht flüchtige Unterhaltung.

Filmkritik:

Wie jagt man ein Phantom? Diese Frage stellen sich auch die Behörden, die schon länger dem gerissenen Millionendieb Alexander Pearce auf den Fersen sind. Bislang konnte der Gesuchte, von dem Scotland Yard noch nicht einmal weiß, wie er denn genau aussieht, jedoch immer entkommen. Nach der Observation seiner Geliebten Elise (Angelina Jolie) in Paris mehren sich die Hinweise, dass sich Pearce in Italien aufhält. Elise steigt dann auch wenig später in den Zug Richtung Venedig, wo sie auf den amerikanischen Touristen Frank (Johnny Depp) trifft. Der ist zunächst sichtlich verwirrt, dass sich eine derart schöne Frau für ihn interessiert und seine Nähe sucht. Doch hinter den von Elise geschickt gesteuerten Flirtattacken steckt reines Kalkül. Ihre Verfolger sollen glauben, dass Frank der gesuchte Gangster ist.

Dass die Wahl von Deutschlands Oscar-Export Florian Henckel von Donnersmarck bei dessen Hollywood-Einstand ausgerechnet auf ein Remake des französischen Gaunerstücks Anthony Zimmer fiel, mag zunächst überraschen. Der Mann, der uns vor drei Jahren den Publikumserfolg Das Leben der Anderen bescherte, vollzieht mit dem nicht allein aufgrund seiner Schauplätze sehr europäisch anmutenden Thriller eine 180-Grad-Wendung. Statt mit bedrückenden Grau-in-Grau-Tönen und tristen Plattenbauten verwöhnt er unser Auge nunmehr mit mediterranen, geradezu makellosen Bildern wie man sie in einem Werbeprospekt vermuten würde. Hauptdarstellerin Angelina Jolie, von der sich die Kamera kaum einen Moment lösen kann, wird dabei endgültig zu einer mit Luxusdevotionalien ausgestatteten Leinwandikone.

Sie und nicht der ziemlich gelangweilt aufspielende Johnny Depp ist der Star dieser 100 Mio. Dollar-Produktion, die mit Action geizt und sich um eine konsistente Handlung nicht wirklich kümmert. Gerade die Auflösung offenbart rückblickend doch gravierende Logikschwächen, wobei die finale Pointe schon recht früh ersichtlich ist. Auch wenn mit Christopher McQuarrie der Autor der Üblichen Verdächtigen am Drehbuch mitschrieb, reicht es im vorliegenden Fall nicht zu einem überzeugenden Whodunit. Donnermarcks Regieeinfälle sind überdies bestenfalls zurückhaltend. Er begnügt sich damit, ein locker-verspieltes Urlaubsflair auf die Leinwand zu zaubern – Ocean’s Twelve lässt grüßen – und gleichzeitig Angelina Jolie gut aussehen zu lassen. Das ist unterhaltsamer, als es klingt, aber meilenweit von der Klasse seines Erstlings entfernt.

Es hilft dem durchaus altmodischen The Tourist ebenfalls nicht, dass er sich recht offensichtlich bei Klassikern wie Hitchcocks Über den Dächern von Nizza bedient. Eher erscheint Donnermarcks Hollywood-Debüt dadurch noch trivialer. Überall nur Oberfläche – wenngleich eine makellose – und wenig, was dahinter zum Vorschein käme. Bei Steven Soderbergh sprach man seinerzeit von einer Fingerübung, als dieser die Ocean’s-Reihe etablierte, Donnersmarck fehlt hierfür jedoch die nötige Vita als Filmemacher. Es war sicherlich zu erwarten, dass er die mit Das Leben der Anderen gesetzte Messlatte kaum überbieten wird können. Dass er sie am Ende ganz einfach umläuft, ist dann aber schon eine Überraschung.

Für Programmkino.de.

Samstag, Dezember 11, 2010

Rapunzel - Neu verföhnt


USA 2010

+++

Mit der Neuverfilmung eines Märchenklassikers müht sich Disney, an die Tradition seiner alten Animationsmeisterwerke anzuknüpfen und gleichzeitig die Möglichkeiten der neuesten 3D-Technik zu nutzen. Das Ergebnis beinhaltet jede Menge Kitsch, Pomp, Action und Humor. Kurzum: Beste Unterhaltung für die ganze Familie. Zur Kritik auf Koeln.de.

Mittwoch, Dezember 08, 2010

Monsters - Ein Film über uns


GB 2010

++1/2


Manche Filmtitel sind mehr als irreführend. Monsters ist hierfür das beste Beispiel. Denn wer nur nach dem Titel geht und eine actionreiche Survival-Jagd erwartet, sieht sich getäuscht. Das Debüt des britischen Filmemachers und Effektkünstlers Gareth Edwards ist mehr Drama als Monsterfilm, mehr Liebesgeschichte als Horror und mehr kritische Reflexion als spannungsgeladener Thriller. Die zitierten Monster – eine Kranken-ähnliche, außerirdische Lebensform, die mit dem Absturz einer NASA-Kapsel vor sechs Jahren im Grenzland zwischen Mexiko und den USA gelandet ist – spielen dabei eigentlich nur eine Nebenrolle. In Wahrheit dreht sich Edwards Ultra-Low-Budget-Produktion um zwei verlorene Seelen, die sich auf ihrer gemeinsamen Rückreise in die Staaten allmählich näher kommen.

Diese Zwei, damit sind der Fotograf Andrew (Scoot McNairy) und die wohl behütet aufgewachsene Millionärstochter Samantha (Whitney Able) gemeint, bilden eine Schicksalsgemeinschaft, seit sich beide in Mexiko das erste Mal begegneten. Andrew erhält von Samanthas Vater den Auftrag, die Tochter auf ihrer Heimreise zu begleiten. Die Zeit drängt, immerhin wollen die USA schon bald die Grenze zu dem infizierten Gebiet ganz schließen. Zunächst versuchen Andrew und Samantha, mittels Fähre über den Golf von Mexiko nach Hause zu gelangen. Dieses Vorhaben scheitert jedoch, so dass beiden nichts anderes übrig bleibt (Warum eigentlich? Was ist mit einem Flugzeug?), als den gefährlichen Landweg zu nutzen. Dazu müssen sie auch die von den Aliens bevölkerte Zone durchqueren.

Edwards machte aus der Not eine Tugend. Da ihm die finanziellen Mittel für eine aufwändige Materialschlacht oder einen teuren Science-Fiction-Film erst gar nicht zur Verfügung standen, war die Gefahr, dass sich Monsters in einen seelenlosen Special-Effects-Trip verwandeln könnte, praktisch nicht vorhanden. Was man im Film hingegen an fertigen Effekten sieht, ist vielmehr das Ergebnis genialer Photoshop-Spielereien, die Edwards allesamt in Eigenregie kreierte. Schon dafür muss man dem Nachwuchstalent Respekt und Anerkennung zollen. Die an riesige Tintenfische erinnernden Aliens hinterlassen – wenn sie dann einmal in Großaufnahme zu sehen sind – einen durchaus plastischen Eindruck und auch den einkopierten Schiffs- und Autowracks sieht man ihre virtuelle Identität keineswegs an.

Die außerirdischen Gäste, über die man kaum etwas erfährt, bilden letztlich nur die Kulisse für ein vergleichsweise ruhiges, fast schon unspektakuläres Dschungel-Abenteuer, das seine Unaufgeregtheit zwischenzeitlich etwas zu sehr auskostet. Was der Geschichte an Schwung und Tempo fehlt, hofft Edwards offenbar mit Authentizität und Nähe ausgleichen zu können. Leider geht diese Rechnung nicht immer ganz auf. Vor allem Andrews Verhalten erscheint wie bei seinem alkoholindizierten One Night Stand des Öfteren nur sehr eingeschränkt plausibel. Auch dauert es eine Weile, bis Monsters seine beiden Protagonisten aus der zunächst weit offenen Schublade des profitgeilen Fotografen und der verwöhnten Millionärstochter herausholt. Nach knapp zwei Drittel des Films etabliert Edwards dann jedoch über ganz wenige Schlüsselszenen allmählich eine intensivere Beziehung zwischen uns und seinen Figuren. Der gemeinsam erlebte Sonnenuntergang auf der Azteken-Pyramide, so kitschig dieses Ereignis mit Sicherheit auch ist, bringt nicht nur Andrew und Samantha einander näher. Plötzlich blicken auch wir mit anderen Augen auf zwei Menschen, deren weiteres Schicksal sich in diesen Momenten zu entscheiden scheint.

Der um Authentizität und Realismus bemühte, dokumentarische Look passt recht gut zu der gut gemeinten Öko-Botschaft des Films. Edwards sympathisiert mit den offenbar doch recht friedlichen Riesenkreaturen, die ihre Lebensweise bereits an das Ökosystem des mexikanischen Dschungels angepasst haben. So wächst ihr Nachwuchs in kleinen, an den Stämmen der Bäume abgelegten Kapseln heran. Obwohl sie ausgewachsen so groß wie ein zehnstöckiges Gebäude sind, geht von ihnen allenfalls zu Beginn ein Gefühl der Bedrohung aus. Eine in den Abendstunden unternommene Flussfahrt in einem wackligen Holzboot deutet kurzzeitig das von Edwards nicht wirklich ausgeschöpfte Suspense-Potenzial seines viel zu braven Alien-Versteckspiels an. Wenn aus dem Wasser plötzlich eines dieser geheimnisvollen Geschöpfe aufsteigt, stockt nicht nur Andrew und Samantha der Atem.

Mutig ist es schon, wenn ein Film seine im Titel angelegte Prämisse derart konsequent unterläuft und sich um Erwartungen nicht das Geringste schert. In der Verpackung eines vermeintlichen Alien-Thrillers steckt hier ein durchweg unschuldiger, keuscher Liebesfilm, der seine beiden Protagonisten allenfalls schüchterne Blicke austauschen lässt. Garniert wird die Dschungel-Romanze mit opportuner Kritik an der rigiden Einwanderungspolitik des Westens und seiner nicht erst seit 9/11 praktizierten Bunkermentalität. Man ahnt schließlich, warum Edwards sein Werk so und nicht anders genannt hat. Was er uns sagen will, ist einfach: Die Monster sind nicht die Anderen, die Monster, das sind wir.

Erschienen bei BlairWitch.de.

Montag, Dezember 06, 2010

Nowhere Boy - Fab One


GB/KAN 2009

+++1/2

Liverpool und die „Fab Four“. Das eine scheint nicht ohne das andere denkbar. In ihrem Spielfilmdebüt zeichnet die britische Regisseurin Sam Taylor-Wood die Jungendjahre des späteren Beatles-Frontmannes John Lennon nach. Aufgewachsen bei seiner konservativen Tante sucht das Musikgenie nach der eigenen Identität und lernt auf diesem Wege seine progressive Mutter und den Rock’n’Roll kennen. Auch Nicht-Beatles-Fans sollten einen Blick auf diese mitreißende Coming-of-Age-Geschichte riskieren, der endlich auch hierzulande die verdiente Kinoauswertung zuteil wird. Ein wirklich begeisternder Film!

Filmkritik:

Liverpool. Die Hafenstadt im Nordwesten Englands ist untrennbar mit der bis heute erfolgreichsten Musikband aller Zeiten verbunden, den Beatles. Bevor jedoch Songs wie „Yesterday“ und „Strawberry Fields Forever“ von hier aus ihren weltweiten Siegeszug antraten, lag vor George, Paul, Ringo und John ein beschwerlicher Weg. Während sich Iain Softleys Backbeat leidenschaftlich den Anfangsjahren der Fab Four widmete, blickt der ebenfalls britische Nowhere Boy noch weiter zurück. In ihrem Spielfilmdebüt erzählt Regisseurin Sam Taylor-Wood von der Jugend John Lennons, seiner musikalischen Sozialisation und der ersten Begegnung mit einem gewissen Paul McCartney.

John (Aaron Johnson) wächst wohlbehütet und in durchaus bürgerlichen Verhältnissen bei seiner Tante Mimi (Kristin Scott-Thomas) auf, die ihn mit liebevoller Strenge zu Disziplin und Anstand erzieht. Von seiner leiblichen Mutter Julia (Anne-Marie Duff) sind ihm lange Jahre nur Erinnerungen geblieben, seitdem sie und sein Vater Alf sich einst getrennt hatten. Da war John gerade einmal fünf Jahre alt. Eher beiläufig erfährt er eines Tages, dass Julia entgegen seinem Glauben immer noch ganz in der Nähe wohnt. Er baut den Kontakt zu ihr wieder auf, was seiner Tante zunächst sichtlich missfällt. Es ist Julia, die den jungen John in eine, für ihn bis dahin unbekannte Welt einführt, ihn mit dem Virus des Rock’n’Roll infiziert und seine spätere musikalische Entwicklung maßgeblich prägt.

Der Film lässt mit viel Hingabe und Liebe zum Detail das England der späten fünfziger Jahre wiederauferstehen. Die Arbeiterstadt Liverpool erscheint nicht nur ungemein lebendig, es werden auch die Gegensätze und Brüche zwischen der eher proletarisch beeinflussten Pop- und Rock’n’Roll-Musik und des ebenfalls aus den USA importierten Jazz deutlich. Anders als seine späteren Bandkollegen stammt John Lennon nämlich nicht aus dem Milieu der Working Class. Er genießt eine gute Ausbildung, was er allerdings nicht immer zu schätzen weiß. Seine Jugend beinhaltet neben den typischen rebellischen Phasen auch immer wieder eine tiefe Sehnsucht nach familiärer Sicherheit und Geborgenheit. Beides lässt sich im Spannungsfeld zweier vollkommen unterschiedlicher Lebensentwürfe – auf der einen Seite den seiner disziplinierten Tante, auf der anderen den seiner freigeistigen, liberalen Mutter – bisweilen recht schwer vereinbaren.

Nowhere Boy, der Titel deutet es bereits an, beschreibt den späteren Superstar als einen Jungen, der lange Zeit nicht so recht weiß, wo er eigentlich hingehört und welchen Weg er gehen soll. Erst die Musik bewirkt einen sinn- und identitätsstiftenden Wandel. Dabei erweist sich Taylor-Woods Film vornehmlich als feinfühliges Coming-of-Age-Stück. Der von Aaron Johnson bravourös gespielte junge John Lennon steht hier im Vordergrund und nicht seine erst später entwickelte Star-Persona. Diese wird in den Auftritten mit seiner ersten Band, den „Quarrymen“, allenfalls angedeutet. Und doch versäumt es Nowhere Boy nicht, seine Geschichte einer mitunter schizophrenen Adoleszenz mit viel erstklassiger Rock’n’Roll-Musik zu unterlegen. Am Ende verlässt ein gereifter John seine Heimatstadt Richtung Hamburg. Die weiteren Kapitel in seinem Leben dürften hinlänglich bekannt sein.

Für Programmkino.de.

Samstag, Dezember 04, 2010

Ich sehe den Mann deiner Träume - Fließband-Routine


USA/GB 2010

++


Jedes Jahr ein neuer Film. Woody Allen, der in diesen Tagen seinen 75. Geburtstag feiert, bleibt seinem Arbeitsrhythmus, sich selbst und seinen Themen - die Beziehungsprobleme neurotischer Großstädter - treu. Das ist mitunter etwas langweilig, für Allen-Fans aber vermutlich genau das, was sie von ihm erwarten. Zur Kritik auf Koeln.de.