Montag, Juli 27, 2009

Selbst ist die Braut - Auf Nummer sicher


USA 2009

++1/2

Wer das Kino für seine Innovationen schätzt, wähnt sich bei Selbst ist die Braut garantiert im falschen Film. Auf bekannten (Um-)Wegen finden darin eine anfangs verbissene Karrierefrau und ihr smarter Assistent zueinander. Letztlich trösten Sandra Bullock, Ryan Reynolds und der Rest des Ensembles erfolgreich über das offensichtliche Originalitätsdefizit der Geschichte hinweg.

Filmkritik:

Jede romantische Komödie (auf neudeutsch: RomCom) besitzt eine mehr oder weniger abstruse Ausgangsidee, die nur dazu dient, eine weitgehend bekannte Dramaturgie in Gang zu setzen. Im Fall von Anne Fletchers Selbst ist die Braut werden kurzerhand die amerikanischen Einwanderungs- und Aufenthaltsbestimmungen als Vorwand für ein ganz auf die beiden Hauptdarsteller Sandra Bullock und Ryan Reynolds zugeschnittenes Date Movie bemüht. „Everybody’s Darling“ Sandra Bullock spielt darin die strenge, förmlich von Ehrgeiz zerfressene Verlagslektorin Margaret Tate. Unter ihrem fast schon diktatorischen Führungsstil, der wohl nicht ganz zufällig an Meryl Streeps Rolle in Der Teufel trägt Prada erinnert, leidet auch ihr Assistent Andrew Paxton (Reynolds). Die Vorstellung, dass diese beiden einmal ein Liebespaar sein könnten, scheint zunächst reichlich abwegig.

Als plötzlich jedoch Beamte der amerikanischen Einwanderungsbehörde die gebürtige Kanadierin aufsuchen, erweist sich der folgsame Andrew als überaus nützlich. Um nach Ablauf des Visums einer Ausweisung zu entgehen, lässt sich Margaret zu einer folgenschweren Notlüge hinreißen. Kurzerhand präsentiert sie den erstaunten Andrew als ihren Verlobten und zukünftigen Ehemann. Der spielt das absurde Spiel brav mit. Immerhin droht auch er seinen Job zu verlieren, sollte Margaret tatsächlich das Land verlassen müssen. Der anschließende Antrittsbesuch bei Andrews Eltern im fernen Alaska verläuft dann ebenfalls anders als geplant. Erstaunt stellt Margaret fest, dass die Familie ihres zukünftigen Gatten zu den reichsten Alaskas zählt. Und obwohl die Nachricht von Andrews Verlobung auch dort für alle Beteiligten überraschend kommt, überwiegt letztlich die Freude. Vor allem Andrews Mutter Grace (Mary Steenburgen) und Oma Annie („Golden Girl“ Betty White) nehmen die Schwiegertochter in spe mit offenen Armen auf. Soviel Gastfreundschaft bereitet Margaret schon bald ein schlechtes Gewissen.

Getrau der Devise „Was sich liebt, das neckt sich“ finden auch Margaret und Andrew über einige Umwege zueinander. Zwischen dem finalen Liebesschwur vor versammelter Kollegenschaft und den ersten, noch unfreiwilligen Annäherungsversuchen liegen dank eines glänzend aufgelegten Ensembles anderthalb fast durchgängig vergnügliche Stunden. Während The Office-Darsteller Oscar Nuñez in der Rolle des Insel-Chaoten Ramone zur Höchstform aufläuft, sorgt bereits das bloße Wiedersehen mit der inzwischen 87jährigen Betty White für ein nostalgisches Schwelgen in alten TV-Erinnerungen. Dass ihre Figur wie der gesamte Film nicht den geringsten Anspruch auf Originalität oder Eigenständigkeit erheben kann, soll dabei keineswegs verschwiegen werden. Regisseurin Anne Fletcher und ihr Drehbuchautor Pete Chiarelli gehen vielmehr auf Nummer sicher, wenn sie Szene für Szene dem bewährten Rezept einer erfolgreichen romantischen Komödie folgen. Wie man eine solche inszeniert, das hat Fletcher erst mit ihrem letzten Film 27 Dresses hinreichend unter Beweis gestellt.

Trotz des wieder einmal diskussionswürdigen deutschen Titels, der offenkundig das hierzulande besonders Hochzeitsfilm-affine Kinopublikum anlocken soll, zählt Selbst ist die Braut zu den besseren Vertretern des RomCom-Genres. Chiarellis Skript setzt neben gelegentlichen Albernheiten – warum nur muss „Golden Girl“ Betty White in lächerlicher Indianerverkleidung einen nicht minder lächerlichen Tanz aufführen? – auf verbale Schlagfertigkeiten und die Star-Persona des Duos Bullock/Reynolds. Hinter Reynolds’ äußerst selbstbewusstem Spiel mit den eigenen Reizen verblasst bisweilen sogar der couragierte Einsatz seiner Filmpartnerin. Er, der zuletzt als Hugh Jackmans Gegenspieler in X-Men Origins: Wolverine auftrat, tut gut daran, sich auch in Zukunft nicht auf ein Genre festlegen zu lassen. Etwas mehr Mut bei der Rollenauswahl wäre ihm aber dennoch zu wünschen.

Für Programmkino.de.

Freitag, Juli 24, 2009

Erzähl mir was vom Regen


F 2008

+++

Das kreative Schauspieler-Autoren-Ehepaar Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri steht erneut in einem Film gemeinsam vor und hinter der Kamera. Erzähl mir was vom Regen erzählt von einer idealistischen Politikerin, die beim Besuch ihrer Familie in einem kleinen südfranzösischen Dorf auf vielfältige Beziehungsprobleme und Vorurteile trifft. Ihr kurzweiliges Ensemblestück lebt von schnellen Wortgefechten und ironischen, bisweilen gar zynischen Bebachtungen des bürgerlichen Milieus.

Filmkritik:


Südfrankreich. Gemeinhin verbindet man mit dieser Gegend flirrend-heiße Sommertage, idyllische Landschaften, gutes Essen und noch bessere Weine. Zumindest die Sache mit dem perfekten Sommer-Wetter scheint in Agnès Jaouis melancholischer Komödie Erzähl mir was vom Regen durchaus verbesserungswürdig. Denn statt strahlendem Sonnenschein erwartet uns und die Protagonisten ein eher trübes Grau und statt einer erholsamen Urlaubsatmosphäre beherrschen alte Konflikte und Spannungen den Fortgang der Ereignisse. Diese wurden von Jaoui und ihrem Co-Autor Jean-Pierre Bacri jedoch in höchst ironische, pointierte Dialoge verpackt, mit dem Ergebnis, dass Schwermut und Tristesse letztlich nur sehr begrenzt die Tonalität ihres Films bestimmen.

Im Zentrum der Geschichte steht die erfolgreiche Autorin und engagierte Feministin Agathe (Agnès Jaoui). Auf die emanzipierte Frau wartet demnächst eine neue Aufgabe – in der Politik. Im Rahmen ihres Wahlkampfes reist sie auch nach Südfrankreich und dort ausgerechnet an den Ort ihrer Kindheit, wo sie für einige Tage ihre Schwester Florence (Pascale Arbillot) und deren Familie besucht. Während dieser Zeit lässt sie sich von einem Fernsehteam begleiten, das mit ihr eine Reportage über starke, erfolgreiche Frauen plant. Was Agathe zunächst nicht ahnt: Ihre Schwester hat schon eine ganze Weile ein außereheliches Verhältnis. Michel (Jean-Pierre Bacri), ihr Geliebter, ist Journalist und zugleich derjenige, der Agathe interviewen soll.

Doch bei dieser einen Verwicklung bleibt es nicht. Michels Partner Karim (Jamel Debouzze) begegnet Agathe zunächst mit Argwohn und Skepsis. Ihm missfällt, dass seine inzwischen siebzigjährige Mutter immer noch als Haushälterin für Agathes Familie arbeitet. Als Sohn algerischer Einwanderer fühlt sich Karim zudem aufgrund seiner Hautfarbe oftmals benachteiligt und rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Dennoch hält er unbeirrt an seinem großen Traum fest. Eines Tages will er als Filmemacher arbeiten und mit anspruchsvollen Dokumentationen seinen Lebensunterhalt verdienen. Bis es allerdings soweit ist, hält er sich mit einem eher anspruchslosen Rezeptionisten-Job in einem kleinen Hotel über Wasser. Obwohl auch er verheiratet ist, lässt er sich während der Arbeit immer wieder auf einen Flirt mit seiner Kollegin Aurélie (Florence Loiret-Caille) ein.

Für Erzähl mir was vom Regen entfloh Agnès Jaoui der großstädtischen Hektik der Seinemetropole Paris. Ziel ihres Ausbruchsversuchs war die südfranzösische Provinz. Auch dort dreht sich erwartungsgemäß wieder einmal (fast) alles um die Sorgen, Wünsche und Beziehungsprobleme bürgerlicher Intellektueller. Agathes gesamte Familie ist gut situiert, angesehen und gebildet. Allein Karim und dessen Mutter nehmen diesbezüglich eine Sonderrolle ein, da ihnen eine andere kulturelle Sozialisation zuteil wurde und sie nicht in das vordefinierte bürgerliche Raster passen. Über ein dichtes, wechselseitiges Beziehungsgeflecht ist jeder gleichwohl mit dem Anderen verbunden, was erklärt, wieso Jaouis Film in seiner Struktur stark einem klassischen Ensemblestück ähnelt. Agathe ist hierbei der Fixpunkt, auf den alle Episoden zulaufen und der die an sich wenig spektakuläre Handlung wie eine unsichtbare Klammer umschließt.

Verglichen mit den früheren Werken des Schauspieler-Autoren-Ehepaars Jaoui/Bacri erscheint der Humor dieser südfranzösischen Landpartie wesentlich direkter, vorherrschender aber auch trivialer. Nicht selten zieht ihr Film gerade aus der Überzeichnung bestimmter Klischees wie die des wortkargen Bauers seinen Witz. Selbst für harmlose Albernheiten (Stichwort: Kiffen) zeigen sich Jaoui und Bacri empfänglich. Wieder aufgewogen werden solch eher zweifelhaften Entscheidungen von den treffsicheren, verspielten Dialogen, die zumeist souverän zwischen Selbstironie und Zynismus variieren. Dass im Hintergrund derweil komplexe, ernste Themen verhandelt werden – unter anderem werden einseitige Abhängigkeiten, angstbesetzte Lebensentwürfe und tief sitzende Vorurteile seziert – fällt so richtig erst viel später auf.

Für Programmkino.de.

Mittwoch, Juli 22, 2009

Hangover - Kater-Bestimmung


USA 2009

+++1/2

Wer zuletzt die öde Beziehungskomödie Love Vegas durchlitten hat, mag kaum glauben, daß ein Filmriss in der Glücksspielmetropole auch eine ungemein unterhaltsame Sache ergeben kann. Hangover belehrt nun selbst hartgesottene Skeptiker eines Besseren. Auf evolver gibt es den ganzen Text (und noch viel mehr)!

Samstag, Juli 18, 2009

Salami Aleikum - Lust am Experiment


D 2009

++1/2

Mehr als nur einen Kulturschock erlebt ein junger Deutsch-Iraner, als er im tiefsten Ostdeutschland auf die Liebe seines Lebens trifft. Nach der preisgekrönten Dokumentation Lost Children gibt der ebenfalls aus dem Iran stammende Filmemacher Ali Samadi Ahadi mit der turbulenten, fantasiereichen Culture-Clash-Komödie Salami Aleikum sein Debüt im fiktionalen Fach. Ahadis Film versteht es trotz mancher Albernheiten und vorhersehbarem Ablauf gut zu unterhalten.

Filmkritik:

Nach dem Fall der Mauer standen sich hierzulande Wessis und Ossis zumeist recht unvorbereitet gegenüber. Die Vorurteile waren groß, das Misstrauen ebenso. Während Politiker nicht müde wurden, an den deutsch-deutschen Gemeinsinn zu appellieren, klaffte zwischen Wunsch und Realität nicht selten eine gewaltige Lücke. Wenn schon der gemeine Wessi seinen Landsmann aus dem Osten bisweilen nicht versteht und umgekehrt, wie soll sich dann erst ein Immigrant, jemand aus einem ganz anderen Kulturkreis, bei uns zurechtfinden? Ali Ahadis Culture-Clash-Komödie Salami Aleikum versucht sich an einer Antwort. Darin strandet ein junger Iraner aus Köln in der ostdeutschen Provinz, wo er nicht nur auf einen sehr eigenen Menschenschlag sondern auch auf seine große Liebe trifft.

Ahadi weiß, wovon er spricht. Bereits als Kind kam der heutige Wahl-Kölner ohne seine Eltern aus dem Iran nach Deutschland. Den kulturellen Background teilt er sich mit seiner Hauptfigur Mohsen (Navid Akhavan), wobei er diese trotz mancher autobiographischer Züge nicht als sein Alter Ego verstanden wissen will. Im Gegensatz zu Ahadi lebt Mohsen noch mit Ende 20 bei den Eltern. Der eigene Vater (Michael Niavarani), der in der Domstadt eine Metzgerei betreibt, hält ihn für einen Versager. Dass der schüchterne Deutsch-Iraner kein Blut sehen kann, sich immerzu in wilde Tagträume flüchtet und in seiner Freizeit bevorzugt strickt, lässt sich zugegeben auch nur schwer dem stolzen Familienoberhaupt vermitteln.

Als Mohsen endlich die Gelegenheit erhält, seinem Vater das Gegenteil zu beweisen und den elterlichen Betrieb zu retten, landet er auf Umwegen in einem kleinen, verschlafenen Ort namens Oberniederwalde. Das liegt irgendwo im tiefsten Ostdeutschland. Seit der Wende und dem Aus für den ortsansässigen volkseigenen Betrieb „Textile Freuden“ ist mit Oberniederwalde nicht mehr wirklich viel anzufangen. Ausländern wie Mohsen begegnet man dort mit Argwohn und äußerster Zurückhaltung – bestenfalls. Da erscheint es nicht ganz unproblematisch, wenn sich der Neuankömmling Hals über Kopf in die Tochter des Kneipenwirts (Wolfgang Stumph) verliebt. Ana (Anna Böger) ist groß, blond, stark, selbstbewusst und somit das genaue Gegenteil von Mohsen.

Ahadi entwickelt aus einer simplen Orient-trifft-Okzident-Konstellation eine überaus farbenfrohe, verspielte Komödie mit einer Vielzahl von innerdeutschen Bezügen. Schon in den ersten Minuten wird klar, dass sich Ahadis Film zumindest in der Art der Präsentation von den meisten anderen Multikulti-Geschichten grundsätzlich unterscheidet. Statt in Köln oder der ostdeutschen Provinz wähnt man sich bisweilen in einem Traum aus 1001er Nacht. Um den Zuschauer unmittelbar am Seelenleben seiner Protagonisten teilhaben zu lassen, erhalten deren Hoffnungen und Wünsche eigene kleine Bühnen, auf denen sich plötzlich alles um eine verrückte Idee oder einen lange Zeit unerreichbaren Traum dreht. Während sich Mohsen eine gemeinsame Zukunft mit Ana als Episode aus einem Bollywood-Film ausmalt, sehnt Anas Vater den Glanz alter sozialistischer Textil-Herrlichkeit herbei.

Für Ahadi scheinen indes keine stilistischen Grenzen zu existieren. Egal ob orientalische Musik- und Tanzeinlagen, Märchenreflexionen, Klamauk, Slapstick oder animierte Wollfiguren, als Zuschauer muss man im Verlauf dieser 102 Minuten einfach auf alles gefasst sein. Die ungebremste Lust am Experiment ist dann auch die größte Stärke eines Films, der in seiner überdrehten Rastlosigkeit bisweilen die eigentliche Geschichte aus den Augen verliert. Dass diese praktisch im Autopilot-Modus auf ein absehbares Über-Happy-End zusteuert, das kann Salami Aleikum letztlich mit keinem noch so ausgefallenen inszenatorischen Gimmick kaschieren. Überraschungen finden sich dafür ganz woanders. Kaum jemand hätte erwartet, dass Ahadi nach der preisgekörnten Dokumentation Lost Children über afrikanische Kindersoldaten in seinem Spielfilmdebüt einen strickenden Metzgersohn auf eine ostdeutsche Ex-Kugelstoßerin treffen lässt.

Für Programmkino.de.

Montag, Juli 13, 2009

The Universe of Keith Haring - Kunst-Demokrat


IT/F 2008

+++

Er gilt als einer der einflussreichsten Künstlern des späten 20. Jahrhunderts: Keith Haring revolutionierte mit seinen unverwechselbaren Bildern, Zeichnungen und Graffitis die Popkultur. Längst sind seine Werke moderne Ikonographien, die sowohl T-Shirts als auch Museen zieren. The Universe of Keith Haring zeichnet den Werdegang des exzentrischen Workaholics nach. Aus zahlreichen Archivaufnahmen, O-Tönen und einem Interview, das Haring wenige Monate vor seinem Tod gab, rekonstruiert der Film das Bild einer außergewöhnlichen Künstler-Persönlichkeit.

Filmkritik:

Keith Harings Credo war eindeutig: Mit den Worten „Kunst ist für jeden!“ wurde der für seine stilisierten Figuren weltberühmt gewordene Haring immer wieder zitiert. Ihm gelang es, dass Kunst für jedermann erfahrbar und erlebbar wurde. Weil viele Menschen nicht ins Museum gehen, brachte er das Museum einfach zu den Menschen. Er malte auf der Straße, in U-Bahn-Stationen, Schulen und an anderen öffentlichen Plätzen, mit dem Ergebnis, dass seine inkonographischen Zeichnungen schon bald Eingang in die moderne Popkultur fanden. Auch heute noch sind seine Motive allgegenwärtig, egal ob auf T-Shirts, Postern, Tassen oder den für Haring so charakteristischen Buttons. Der popkulturelle Einfluss verband ihn darüber hinaus mit Andy Warhol, der Haring als väterlichen Freund und Unterstützer in der vitalen New Yorker Kunstszene der achtziger Jahre bekannt machte.

In ihrer Dokumentation The Universe of Keith Haring, die hierzulande schlicht „Keith Haring“ betitelt wurde, begibt sich die italienische Filmemacherin Christina Clausen auf die Spuren des vielleicht populärsten und einflussreichsten Künstlers der vergangenen dreißig Jahre. Bis zu seinem viel zu frühen Tod im Jahr 1989 produzierte Haring unzählige Zeichnungen, Graffitis und Bilder. Clausen entschied sich für eine weitgehend chronologische Aufarbeitung von Harings viel zu kurzem Leben. Wir lernen seinen beschaulichen Heimatort Kutztown kennen, seine Familie und sein Zuhause. Und wir erfahren, dass er die Liebe zum Zeichnen von seinem Vater geerbt hatte, der ihm nicht nur Kohlestifte schenkte, sondern ihm zugleich erste Grundkenntnisse im Zeichnen vermittelte. So konventionell dieser Ansatz unter filmischen Gesichtspunkten auch sein mag – immerhin sind die meisten biographischen Dokumentationen nach dem exakt gleichen Schema aufgebaut –, Clausens Entscheidung hilft dabei, einen Zugang zu der Privatperson Keith Haring aufzubauen, über die sich der Künstler und Paradiesvogel Haring im weiteren Verlauf erst erklärt.

In zahlreichen Interviews mit Freunden, Weggefährten und Förderern begibt sich Clausen auf die Suche nach dem, was Haring und dessen Kunst so einzigartig machte. Dabei spielt es letztlich keine so große Rolle, ob sie gerade mit Kenny Scharf, Harings langjährigem Künstlerfreund, Bruno Schmidt, Harings Professor an der New Yorker School of Visual Arts, oder anderen engen Vertrauten spricht. Alle beschreiben ihn als einen kreativen Tausendsassa, rastlos, voller Ideen und stets auf der Suche nach neuen Projekten. Schon lange bevor er wusste, dass er an AIDS erkrankt war, arbeitete er wie ein Besessener.

Haring selbst kommt auch zu Wort. Neben Archivaufnahmen, die ihn bei spontanen Aktionen in der New Yorker U-Bahn oder bei seinen zahlreichen Auslandsreisen zeigen – selbst die Berliner Mauer diente ihm als Leinwand –, blickt er in einem wenige Monate vor seinem Tod aufgenommenem Interview mit dem renommierten Kulturjournalisten John Gruen auf sein äußerst bewegtes Leben zurück. Wenn er über die prägenden Einflüsse seiner Arbeit spricht, die einen Bogen von Walt Disney über Warhol bis zu gänzlich unbekannten Straßen-Künstlern schlägt, erkennt man plötzlich Harings kindlich-naive Freude an dem, was ihn Zeit seines Lebens beschäftigte.

Clausens Film ist jedoch mehr als nur ein Künstler-Portrait. The Universe of Keith Haring funktioniert zugleich als das spannende Dokument einer gesellschaftlichen Sollbruchstelle. Auf die liberalen Siebziger folgte der Konservatismus der Reagan-Ära. Die Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas bekam insbesondere die schwule New Yorker Subkultur zu spüren, der Haring angehörte. Mit dem Aufkommen von AIDS, zunächst despektierlich als „gay cancer“ umschrieben, war vielen nicht mehr nach ausschweifenden Partys und sexuellen Abenteuern zu Mute. Im Film wird dieser Stimmungsumschwung durch die Überblendung mit Harings frühem Tod noch verstärkt. Er lässt einen nachdenklich und voller Wehmut zurückblicken.

Für Programmkino.de.

Donnerstag, Juli 09, 2009

Deadline #16 seit gestern im Handel!


Ich wäre wohl ein schlechter Mitarbeiter, wenn ich für das neue Heft nicht die Werbetrommel rühren würde. Im Kino-Teil werden u.a. FANBOYS, ZACK & MIRI MAKE A PORNO, BRÜNO, INGLOURIOUS BASTERDS, KILLSHOT, TROPA DE ELITE, THE HURT LOCKER und THE GOOD THE BAD THE WEIRD einer kritischen Prüfung unterzogen. Letzterer von mir - mit einem durchaus positiven Fazit!

Insgesamt erwarten Euch wieder 128 liebevoll aufgemachte Seiten! Auch ein Interview mit Lordi-Frontmann "Mr. Lordi" ist darunter. Viel Spaß bei der Lektüre!

Dienstag, Juli 07, 2009

Under the same Moon - Tränen auf Kommando


MEX/USA 2007

+

Das mexikanische Mutter-Sohn-Drama Under the same Moon übt scharfe Kritik an der rigiden Einwanderungspraxis der Vereinigten Staaten. Leider tut es dies nicht mit allzu subtilen oder kreativen Mitteln. Bereits die Grundidee klingt stark nach einem manipulativen Rührstück. Ein kleiner Junge, der von seiner Mutter einst notgedrungen in der mexikanischen Heimat zurückgelassen wurde, macht sich eigenhändig auf den Weg nach Los Angeles, wo er nach vier Jahren auf ein Wiedersehen mit seiner Mama hofft.

Filmkritik:

Schätzungen zufolge gelingt jedes Jahr allein rund 150.000 Mexikanern illegal die Einreise in die USA. Dabei scheitern jedoch fast zehnmal so viele an den strengen Grenzkontrollen der „Border Police“. Einmal im gelobten Land angekommen, verdienen diejenigen, die es geschafft haben, meist mit einfachen Arbeiten und Aushilfsjobs ihren Lebensunterhalt. Viele Mexikaner sind in der Landwirtschaft, in der Gastronomie oder als Haushaltshilfen beschäftigt.

Auch Rosario (Kate Del Castillo) hat ihre Heimat einst verlassen. Wie schwer ihr diese Entscheidung gefallen sein muss, zeigt sich bereits daran, dass sie ihr einziges Kind Carlito (Adrián Alonso) bei den Großeltern zurückgelassen hat. Mutter und Sohn verbindet seit vier Jahren nur das zum Ritual gewordene sonntägliche Telefonat, in dem Rosario immer wieder verspricht, schon bald nach Hause zurückkehren zu wollen. Als die Großmutter unerwartet stirbt, trifft Carlito eine wagemutige Entscheidung. Mit seinen gerade einmal neun Jahren will der Junge ganz auf sich alleine gestellt seine Mutter im fremden Los Angeles besuchen. Das illegale Überqueren der Grenze erweist sich hierbei als nur eines von zahlreichen Hindernissen.

In Under the same Moon arbeitet Regisseurin Patricia Riggen mit einem beständigen Wechsel der Genres und Stimmungen. Obwohl ihr Film als emotionales Mutter-Sohn-Melodram mit politischen/gesellschaftskritischen Untertönen vermarktet wird, schleichen sich auch immer wieder klassische Spannungselemente in die recht vorhersehbare Geschichte ein. Da erklärt sich ein junges Pärchen dazu bereit, Carlito im eigenen Auto in die USA zu schmuggeln, was prompt schief geht und von Riggen wie die Schlüsselszene eines Thrillers inszeniert wird. Innerhalb weniger Tage gerät der Junge immer wieder in ähnlich brenzlige Situationen, was in dieser Anhäufung nur bedingt glaubwürdig erscheint. Mal sind es Zollbeamten, die Jagd auf illegale Plantagen-Arbeiter machen und den kleinen Carlito um ein Haar aufgreifen, ein anderes Mal läuft er Gefahr, skrupellosen Kinderhändlern in die Hände zu fallen.

Schwerer als die Plausibilitätsdefizite des Plots wiegt allerdings die sehr kalkulierte, leicht durchschaubare Manipulation des Zuschauers. Die Tränen von Mutter und Sohn kullern hier zu leicht und zu oft. Obendrein wird Jungdarsteller Adrián Alonso von Riggen viel zu offensichtlich als emotionale Allzweckwaffe instrumentalisiert. Immer wieder blickt er uns mit seinen großen, braunen Kinderaugen an, was in dieser Redundanz irgendwann nur noch schwer zu ertragen ist. Überhaupt mangelt es Under the same Moon an interessanten Einfällen. Dass der Film das unsichtbare Band zwischen Mutter und Sohn lediglich über banalste Dialoge und verkitschte Aufnahmen des Nachthimmels aufzuzeigen vermag, ist dafür nur ein weiterer Beleg. Auch der Einsatz der Parallelmontage verbraucht sich viel zu schnell.

Unter die Langeweile mischt sich mit zunehmender Laufzeit ein ungutes Gefühl. Über die strikte Schwarz-Weiss-Zeichnung einzelner Charaktere spielt Riggens Film unterschwellig den in der mexikanischen Gesellschaft verwurzelten Vorurteilen über den nördlichen Nachbarn in die Hände. Nimmt man die Geschichte ernst (was man gewiss nicht tun sollte), dann verläuft parallel zur tatsächlichen Grenze scheinbar auch eine moralische wie ethische Demarkationslinie. Amerikaner sind in aller Regel entweder arrogant oder kriminell, wohingegen Mexikaner ihr solidarisches Gemeinschaftsgefühl pflegen und reinen Herzens sind. Ohne es zu wollen befeuert Under the same Moon hierüber letztlich rassistische Ressentiments. Die berechtigte Kritik an der Einwanderungspolitik der Vereinigten Staaten tritt dem gegenüber bedauerlicherweise in den Hintergrund.

Für Progammkino.de.