Montag, Mai 29, 2006

Breakfast on Pluto - Auf der Suche nach Mitzi Gaynor

IRL/GB 2005

+++

Ein Leben in 36 Kapiteln. Was sich anhört, als presse ein Regisseur eine auf wahren Begebenheiten basierende Story ohne Rücksicht in ein starres Korsett, ist die kurzmöglichste Zusammenfassung für ein phantasiereiches, imaginatives, erfrischendes Kinoerlebnis. Patrick bzw. Patricia „Kitten“ Braden (Cillian Murphy) merkt bereits früh, dass er anders ist als die anderen Kinder in seinem Alter. Patrick hegt ein größeres Interesse fürs Schminken als für Fußball. Gerne trägt er auch schon einmal ein Kleid mit den dazu passenden hochhackigen Schuhen. Die Schmerzgrenze ist erreicht, als er den neu eingerichteten Kummerkasten in der Schule für die Frage nach dem richtigen Ort für eine Geschlechtsumwandlung zweckentfremdet. Im streng katholischen Umfeld seiner (nord)-irischen Heimat ein Skandal, zumal sich der Einfluss miefigen 50er Jahre noch hartnäckig hält. Aufgewachsen bei Adoptiveltern, beschließt Patrick die Flucht nach vorne anzutreten und seine leibliche Mutter zu suchen. Dafür begibt er sich nach London, in die Stadt, die niemals schläft.

Nach drei Jahren Abstinenz vom Regiestuhl kehrt Irlands Filmemacher Nr.1, Neil Jordan, mit „Breakfast on Pluto“ fulminant auf den Radarschirm des anspruchsvollen Kinos zurück. Noch bevor die schwulen Cowboys ihren Siegeszug antraten und Schauspielerinnen für die Verkörperung von Transsexuellen mit Preisen überhäuft wurden, entschied sich Jordan, dieses etwas andere Transgender-Drama mit einem unverwechselbaren Glamour-Appeal zu realisieren. Die Suche nach der Mutter entwickelt sich für Patrick zu einem Trip zurück in seine Vergangenheit und zu seinen Wurzeln. Folgerichtig endet der Film auch in Irland, wo Patrick eine anfangs so nicht für möglich gehaltene „Wohngemeinschaft“ aufmacht. Aber wer Jordan kennt, weiß, dass er es selten dabei belässt, lediglich einen Aspekt einer Geschichte zu beleuchten. Spätestens seit „The Crying Game“ und „Michael Collins“, das Epos über den irischen Freiheitskämpfer, gilt er neben Jim Sheridan als einer der politischsten Köpfe der irischen Filmlandschaft. Und so kreuzen den zentralen Coming-of-Age-Plot immer wieder die blutgetränkten Pfade des Nordirland-Konflikts.

Hierbei erstaunt, wie mühelos und treffend Jordan zwischen den unterschiedlichen Genres und Stimmungen wechselt. Eine vollkommen friedliche Situation kann sich bereits im nächsten Moment in die sprichwörtliche Hölle verwandeln, die alles verändern soll. Diese Nackenschläge sitzen, sie hinterlassen beim Zuschauer mit Sicherheit eine mindestens so starke Nachwirkung, wie die zahlreichen ungewöhnlichen charmanten Drehbucheinfälle. Von Rotkehlchen, die untertitelt (!) das Geschehen kommentieren, über einen Ausflug in die Märchenwelt einer „Alice im Wunderland“ bis hin zu Kittens fast außerirdischer Selbstdarstellung als Show-Königin zwischen Schwulenstrich und billiger Hypnose-Darbietung, ein Hauch von „Amélie“ weht durch die neonlichtüberfluteten Gassen des Londoner Nachtlebens. Andere Regisseurre bestreiten mit diesen Ideen und Stilmittel ihre gesamte Karriere, Jordan packt sie gleich in einen einzigen Film.

Wer über „Breakfast on Pluto“ schreibt oder redet und nicht Cillian Murphys Darstellung des zutiefst optimistischen Patrick „Kitten“ Braden erwähnt, begeht einen nicht entschuldbaren Fauxpas. Der soeben 30 Jahre alt gewordene Murphy, zuletzt in Wes Cravens Thriller „Red Eye“ als skrupelloser Flugzeugentführer zu sehen, geht in seiner Rolle auf, wie ich es in letzter Zeit nur in ähnlicher Intensität bei Felicity Huffman und ihrer Verkörperung der ebenfalls transsexuellen Bree erlebt habe (Notiz: Sind Transsexuelle vielleicht besonders dankbare Charaktere?). Wie selbstverständlich stolziert Murphy in High Heels und Pelzmantel das Kopfsteinpflaster entlang, während seine Mimik und Gestik ein Selbstbewusstsein transportiert, das von uns zu jeder Zeit unmissverständlich Respekt für sein Alter Ego einfordert. Wie leicht hätte es sich dieser Patrick „Kitten“ Braden nur machen können, hätte er seine Neigung und sein Wesen verleugnet, um bloß nicht aufzufallen. Dass er an die Option eines bürgerlichen Angepaßtseins nie auch nur einen Gedanken zu verschwenden scheint, erhebt ihn zu einer mutigen Figur mit Vorbildcharakter. Sogar in der heutigen Zeit.

Die Zeitreise zurück in die 60er und 70er Jahre illustriert „Breakfast on Pluto“ stilecht mit einem nostalgischen Soundtrack, der mit The Rubettes und ihrem „Sugar Baby Love“ und T.Rex’ „Children of the Revolution“ zwei der ganz großen emotionalen musikalischen Höhepunkte der damaligen Zeit beinhaltet. Kittens Revolution und Rebellion gegen all die Widerstände entfaltet sich auf die Weise in eine für uns unmittelbar nachzuempfindene Universalität. „Music is the Key“ sang einst eine gerne belächelte Sängerin aus Delmenhorst. Recht hat sie. Kitten ist dafür der lebende Beweis.

Kritik bezieht sich auf die OV.

Freitag, Mai 26, 2006

X-Men: Der letzte Widerstand (X3) - It's M-Day

USA 2006

++1/2

Eine der ungewöhnlichsten und interessantesten Comic-Adaptionen des vergangenen Jahrzehnts geht in die dritte (und letzte?) Runde. Die Geschichte um eine Gruppe Mutanten, die ein spezielles X-Gen in sich tragen, was sie mit unterschiedlichen übermenschlichen Fähigkeiten ausstattet, erlebt in "X-Men: Der letzte Widerstand" eine furiose Wiederaufführung auf ganz großer Bühne. Nachdem Querdenker Bryan Singer, Regisseur der ersten beiden "X-Men"-Kinofilme, wegen eines anderen Superhelden für den dritten Teil nicht mehr zur Verfügung stand, engagierte Fox mit Brett Ratner einen routinierten Handwerker weitgehend anspruchsloser Action-Kost ("Rush Hour"). Es verwundert deshalb nicht, daß Teil 3 eindeutige Schwächen genau an den Stellschrauben offenbart, die noch zu den Stärken seiner beiden Vorgänger gehörten.

Kurz zur Story: Die alte Rivalität zwischen Charles X-Xavier (Patrick Stewart) und Magneto (Ian McKellen) bricht wieder auf. Während Magneto seine Getreuen um sich versammelt und die offene Konfrontation mit der Regierung sucht, die einen Pharmakonzern bei der Forschung eines neuen "Heilmittels" gegen die X-Mutation schützt, vertritt Xavier eine gemäßigte Position. Er will keinen Krieg mit den Menschen, sondern eine friedliche Koexistenz. Als Magneto sich die scheinbar grenzenlosen Kräfte der wiederauferstandenen Jean/Phoenix (Famke Janssen) sichert, weiß Xavier, daß seine Vision ernsthaft bedroht ist. Es wird Zeit, zu handeln.

Würde man in einem Atemzug all das aufzählen, was die "X-Men"-Reihe von anderen gängigen Fantasy-Geschichten unterscheidet und ihr zu einer anderen Qualität verhilft, könnte es durchaus passieren, daß man dabei ein zweites Mal Luft holen müßte. Würde man darüber hinaus aufzählen wollen, was in "X-Men: Der letzte Widerstand" davon noch vorhanden ist, käme es sicherlich zu keiner Atemnot. Ratner hat bei seiner Regie fast all das abgetrennt, was Singer zwischen der schon in Teil 1 und 2 außergewöhnlichen Action in mühevoller Kleinarbeit etablieren konnte: vielschichtige Charaktere, den Verzicht auf gerade für dieses Genre gängige Stereotypen, eine anrührende Coming-of-Age-Geschichte, ein Plädoyer für Toleranz und Vielfalt. Sicherlich schwelen gerade die letzten beiden Aspekte auch bei Ratner noch unter der Oberfläche, aber er rückt sie nicht in den Vordergrund - schon weil der Platz dort, im Rampenlicht, bereits für die Effekte und die große Show reserviert ist. Im lauten Explosionsrausch bleiben leise Töne bekanntlich ungehört.

Den bereits unter Teenagern grassierenden Wahn in Sachen Schönheits-OPs kommentiert der Film etwa in einem kurzen, intelligenten Wortgefecht zwischen Rogue (Anna Paquin), die sich dazu entschließt, das neue Medikament einzunehmen, und Wolverine (Hugh Jackman): "Tu das nicht für einen Jungen, tu es nur, wenn du es auch selber willst!" So ärgerlich es ist, wenn alte Qualitäten auf solch kurze Einschübe reduziert werden, läßt sich gleichwohl konstatieren, daß Ratners Konzept, klar auf die Action-Karte zu setzen, schlußendlich doch einen kurzweiligen Blockbuster mit hohem Spaßfaktor ergibt. Anfangs schwächelt das Drehbuch beim Versuch, Leidenschaft und Gefühle in passende Dialoge zu verpacken. Die rutschen daher schnell in wenig subtiles Pathos ab, das erst in der Schlacht um Alcatraz - dort hat der Pharmakonzern seine Forschungslabors - als kräftige Beilage zu einem grandiosen Effektgewitter passend erscheint. Andererseits hat allein die "Umleitung" der Golden-Gate-Brücke einen Oscar für die besten Spezialeffekte verdient; gleiches gilt für die entfesselten Aufnahmen eines Dante Spinotti.

Versagt Ratner zumeist dann, wenn sein Film einen Gang herunterschaltet, so sind ihm die politischen Seitenhiebe durchaus gelungen. Als von den Mutanten Konformismus eingefordert wird, antworten einige von ihnen mit Anschlägen und Terror. Der Staat sieht sich daraufhin in seiner Existenz bedroht, und die Situation eskaliert in einem Krieg, bei dem Mutanten gegen Mutanten kämpfen.

Neben der Inszenierung des Spektakels überrascht "X-Men: Der letzte Widerstand" mit deutlich mehr Humor und trockenem Wortwitz als seine beiden Vorgänger. Jeder Charakter (Halle Berrys langweilige Storm einmal ausgenommen) darf mindestens zwei absolut coole Oneliner aufsagen. Sogar in höchster Bedrängnis wissen Wolverine & Co., was es heißt, sich elegant und stilvoll aus der Affäre zu ziehen. Das Rezitierungspotential geht dabei zu Lasten der von Singer noch so konsequent verfolgten Entwicklung der einzelnen Mutanten, die nicht aus der ihnen einmal übergestülpten charakterlichen Zwangsjacke ausbrechen können.Ratner hat vornehmlich ein physisches und kein psychisches Interesse an seinen Spielfiguren. Vielleicht ist es diese Erkenntnis, die besonders schmerzt - und erklärt, warum "X-Men: Der letzte Widerstand" trotz seines unbestreitbaren Unterhaltungswerts ein zwiespältiges Filmerlebnis geworden ist. Anhänger der Comics dürfte eine solche Eindimensionalität jedenfalls die Zornesröte ins Gesicht treiben.Am Schluß aber stellt sich die berechtigte Frage, ob man als Zuschauer einem Film tatsächlich böse sein kann, der sich derart charmant das Türchen für eine Fortsetzung offen hält. Wohl kaum, oder?

Erschienen bei evolver.

Donnerstag, Mai 25, 2006

Dance! - Utopia in der Bronx

USA 2006

+++

Nach "Dangerous Minds" und einer Vielzahl anderer zwar gut gemeinter aber nur leidlich interesssanter Filme zum Thema "Richtige Erziehung jugendlicher Rebellen" hätte ich es nicht für möglich gehalten, dass ein weiterer Versuch, aus dieser ausgequetschten Zitrone noch etwas Saft herauszuholen, gelingen würde. Antonio Banderas spielt in "Dance!" wunderbar mit seinem ewigen Image als Latin Lover und die Jungdarsteller schmeißen sich derart ins Zeug, als ginge es hier um alles. Irgendwie stimmt das auch, denn die Story frustrierter gelangweilter Ghetto-Kids setzt alles auf eine Karte. Die Charmeoffensive und der unbekümmerte frische Humor lassen die bekannten Bestandteile der Story schnell vergessen. Weil zudem deutlich wird, dass die Macher ihr Werk nicht als ernsthaftes Lehrexempel, sondern eher als positive Utopie verstanden wollen wissen, kann man sich für zwei Stunden ganz entspannt im Kino zurücklehenn und einen unbeschwerten Filmspaß genießen. Alles weitere steht in meiner Kritik bei critic.de.

Angel-A - Die Rückkehr des Luc Besson

F 2005

+1/2

Wenn ein Enfant terrible wie Luc Besson nach Jahren der Abstinenz vom Regiestuhl auf eben jenem wieder Platz nimmt, hätte man schon mehr als eine langweilige zugegeben hübsche Bilderschau in Schwarz-Weiss erwarten dürfen. In Sachen Geschwätzigkeit stellt sein Film "Angel-A" sogar sämtliche Woody Allen-Komödien in den Schatten. Und als wäre das nicht bereits nervig genug, muss Besson noch mit dem Holzhammer eine therapeutische Selbstfindungsbotschaft unter das langsam dahindämmernde Kinopublikum bringen. Meine Rezension lässt sich bei critic.de nachlesen.

Dienstag, Mai 23, 2006

Die Geisha - Zickenkrieg im Kirschblütenparadies

USA 2005

++1/2

„Die Geisha“ erzählt in wie zu einem Gemälde erstarrten traumhaften Bildern die Geschichte einer dieser für uns im Westen mysteriösen Frauen, die über Jahrhunderte fester Bestandteil der japansichen Kultur und Gesellschaft waren. Die kleine Chiyo (Suzuka Ohga, Ziyi Zhang) und ihre Schwester werden von ihrem Vater aus der Not heraus an einen wohlhabenen Hausstand in die Stadt verkauft. Besser gesagt: nur Chiyo wird von der geschäftstüchtigen Patronin eines Geishas-Hauses aufgenommen. Doch sie hat es schwer sich gegen ihre Konkurrentinnen, allen voran die ältere intrigante Hatsumomo (Gong Li) durchzusetzen. Schon als Chiyo fast nicht mehr daran glaubt, einmal zur Geisha ausgebildet zu werden, nimmt sich ihrer die berühmte Geisha Mameha (Michelle Yeoh) an. Sie ermöglicht Chiyo, die hohe Kunst der Konversation, des Tanzes und der Dienerschaft zu erlernen. Am Ende dieses Weges wird aus dem „hässlichen Entlein“ Chiyo die von den Männern so begehrte Sayuri.

Akzeptiert man den Vorsatz des Films, kein realistisches Portrait Japans und seiner Zeit abgeben zu wollen, ist Rob Marshalls „Chicago“-Nachfolger keinesfalls das schlechte Werk, als dass es gemeinhin im Feuilleton hingestellt wird. „Die Geisha“ überzeugt mit ihrer fast schon märchenhaften Geschichte über ein tapferes Mädchen, dass keine Kindheit und kein selbstbestimmtes Leben als Erwachsene führen durfte. In diesem Punkt liegt die Verfilmung des Bestsellers von Arthur Golden eher in einer Reihe mit den großen Dramen eines James Ivory oder, auf Deutschland bezogen, eines Theodor Fontane. Effi heißt hier Chiyo. Sie muss von klein an, ihre Existenz über Demut und Arbeit rechtfertigen. Kein Leben an sich scheint man ihr im rigiden Haushalt der Geisha-Ausbilderin zuzubilligen. Geradezu bezeichnend ist der Moment, in dem Mameha Chiyo aus der Obhut der strengen Herrin „herauskaufen“ möchte und die beiden Damen über das Schicksal des Mädchens wie beim Einkauf eines Sacks Reis verhandeln. Für viele der strengen Ausbilder waren Geishas ein gewöhnliches Investitionsobjekt, welches später eine möglichst hohe Rendite abzuwerfen hatte. Je höher diese war, desto angesehener war auch die Geisha. Gesellschaftlich legitimierte Sklaverei mit sorgsam gepuderten Antlitz sozusagen und eine ideologische Vorstufe zum heutigen Slogan vom „produktiven Humankapital“.

Ein Aufschrei ging durch die japanische Presse, als bekannt wurde, dass ausgrechnet drei Nicht-Japanerinnen die Hauptrollen übernehmen sollten. Die Produzenten entscheiden aus Kalkül, da Namen wie Ziyi Zhang und Gong Li auch in den USA und Europa über einen hohen Bekanntheitsgrad und künstlerisches Renomée verfügen. Wie Peter Zander in der „Welt“ bereits logisch und richtig erklärte, besteht für soviel japanisches Theater überhaupt keinen Anlass. Ansonsten hätte auch Ralph Fiennes nicht Amon Göth spielen dürfen. Ende der Diuskussion. Viel entscheidender ist es für das Funktionieren des Films, ob Zhang, Yeoh und Li ihren Charakter überzeugend und mit Leidenschaft ausfüllen. Und diesen Punkt muss man mit einem klaren „Ja“ beantworten. Ziyi Zhang war bereits in den beiden „Wuxia“-Meisterwerken „Hero“ und „Tiger & Dragon“ zum Sterben schön, hier zeigt sie aber, dass neben all der oberflächlichen Reinheit eine Schauspielerin von Format in ihr steckt. Ein Blick von ihr Richtung Himmel oder schamhaft verlegen in Richtung ihrer großen Liebe (Ken Watanabe) und schon muss sich der Zuschauer für sie verantwortlich fühlen. So zerbrechlich und scheu wirkt sie dann. Dass Regisseur Marshall sie dabei in Mitten einer übergroßen Kitschfantasie von Japan steckt, ist eine andere, weniger erfreuliche, Sache.

Beeindruckend ist bei Zhang Ziyi und der Darstellung ihres Filmcharakters Sayuri/Chiyo auch der schnelle Wechsel von der eben noch schüchternen Dienerin hin zur entschlossenen Kämpferin führ ihr eigenes Glück. Als könnte sie dieses herbeitanzen, derart exkstatisch führt sie in einem eleganten Theater vor einem geladenen Publikum ihr Können vor. Eingefangen durch eine atemberaubende Kameraarbeit von Dion Beebe, inszeniert und begleitet von einem betäubenden Lichtspektakel, spielt die zur Geisha ausgebildete Sayuri mit den Blicken der zahllosen männlichen Verehrer. Ein Flirt auf einer Meta-Ebene, erotisch und faszinierend. Von dem durch die Bank überzeugend aufspielenden Cast gilt es Gong Li zu erwähnen. Die große Dame des chinesischen Kinos arbeitet sich Szene um Szene weiter in unsere Hassfantasien hinein. Ihre egoistische, von Missgunst und Konkurrenzsucht zerfressene Hatsumomo ist die klassische „böse Schwiegermutter“ der Erzählung. Doch jeden Stein, den sie Chiyo/Sayuri in den Weg legt, lernt diese aus dem Weg zu räumen. Während Chiyo an ihrem Schicksal auch in den ärmlichen Kriegszeiten nicht zerbricht, sondern an ihm „wächst“, wird Hatsumomo nicht mit dem ihr aufgezwungenen Leben fertig. Die Unmöglichkeit, das zu tun, was das Herz ihr sagt, schlägt in Neid und Intriganz um.

Über eine Zeitspanne von knapp zwei Jahrzehnten begleitet der Film Chyios Leben. Rob Marshall vermeidet einen Blick über den Horizont der beengten Lebensverhältnisse im Geisha-Haushalt hinaus, das gesellschaftliche Umfeld und die politischen Umwälzungen im Japan der damaligen Zeit bleiben für den Zuschauer auf Radiomeldungen und einer späten Begegnung mit den neuen „Freunden“ aus dem Westen beschränkt. So sehr es legitim ist, gänzlich apolitisch zu bleiben, irgendwie trauert man schon den hier vergebenen Chancen nach. Besonders dann, als die Handlung wieder mal in malerischen Landschaftsaufnahmen und gesellschaftlichem Smalltalk stecken bleibt. Oder als abermals Chiyos Leben unter dem Zwang ihrer erwachsenen Herrscher portraitiert wird. Dabei ist das Konstrukt ihrer Lebensverhältnisse bereits nach einer halben Stunde festzementiert, ein finaler Ausbruch scheint erst nach dem Abspann möglich zu sein. Denn selbst als Sayuri nicht mehr als Geisha arbeitet, holt sie die Vergangenheit wieder ein. Insoweit beschränkt sich „Die Geisha“, überspitzt formuliert, auf einen hinreißend bebilderten Zickenkrieg.

Das sture Festhalten des von Marshall mit der ersten Einstellung eines idyllischen Fischerdorfs samt pittoresker Baumumrandung verfolgten „Japan sehen und sterben“-Motivs birgt stets die Gefahr des sich „satt sehens“. Spätestens dann flüchtet der Zuschauer mit seinen Gedanken aus dem Film. Die verschwenderische Optik erschlägt so manches, sie deckt viele kleine Nuancen und Gesten zu, für die sich die Darsteller mühsam abarbeiten. Jede Wette, dass Chiyos kleine Andeutungen gegenüber dem Direktor für viele Zuschauer unentdeckt bleiben werden. Dem Film hätte zudem eine Straffung um 20 bis 30 Minuten Gut zur Geischt gestanden . Spätestens beim Eintreffen der Amerikaner sehnt man das Ende herbei, weil schon alles gesagt und erklärt ist. Das hätte uns auch ein unnötig kitschiges Ende inmitten blühender Landschaften erspart, was einen gut gemachten, interessanten Film über Gebühr abwertet.

Zuerst veröffentlicht bei kino.de.

Samstag, Mai 20, 2006

The Da Vinci Code (Sakrileg) - Schnitzeljagd und Butterfahrt

USA 2006

++

2006: Jahr der Fußball-WM mit einem bescheuerten Maskottchen ohne Hose und zugleich Kinostart der Dan Brown Bestsellerverfilmung „Sakrileg“. Beides eignet sich wunderbar als Gesprächsstoff, egal wo man sich gerade befindet. Im Kollegenkreis, unter Freunden oder als Thema bei Sabine Christiansen. Jeder hat zu diesen Ereignissen eine Meinung, ob man selbige nun hören will oder nicht. Schnell verwischen im (Vor-)Urteil über Ron Howards Adaption die Grenzen zwischen Aussagen über den theologisch streitbaren Kern mit der Qualität des Films. Denn so brisant und umstritten Browns Sicht auf die Kirche und das Christentum auch sein mag, das filmische Resultat fällt uninspiriert, öde und reichlich oberlehrerhaft aus.

Robert Langdon (Tom Hanks) ist ein international anerkannter Professor für Symbolologie (oder war es Symbolismus?). Als ein Mord in den heiligen Hallen des Louvre geschieht, wird er als Experte hinzugerufen. Der Tote hat es geschafft, eine verschlüsselte Botschaft zu hinterlassen, bevor er das Zeitliche segnete. Diese wenige Zeilen haben es in sich. Langdon, der von Capitain Fache (Jean Reno) zu den Umständen ausgefragt wird und sogar als Verdächtiger in der Mordsache gilt, erhält Unterstützung von der Dechiffrierexpertin Sophie Neveu (Audrey Tautou). In letzter Sekunde gelingt beiden die Flucht vor der Polizei. Nach einer Odyssee quer durch Paris finden sie schließlich bei Langdons altem Freund Sir Teabing (Ian McKellen) Unterschlupf. Teabing hütet ein Geheimnis, was den Lauf der Geschichte für alle Zeit ändern könnte.

Nach einer stilvollen Einführung in den dunklen geschichsträchtigen Gängen des Louvre und einem eiskalten rätselhaften Mord, rutscht „The Da Vince Code“ mit jeder Minute immer weiter in eine Art Schockstarre ab, deren Lähmung sich unmitelbar auf den Zuschauer übertragen kann. Die gigantische Schnitzeljagd zwischen Paris, französischer Provinz und London hält sich an einem theoretischen Überbau fest, der sich so ernst nimmt, dass man sich verwundert die Augen reiben muss. Unabhängig davon, für wie wahrscheinlich man Browns Hirngespinste hält, die er durchaus geschickt aus uns allen bekannten Anhaltspunkten zieht (das macht nämlich die Faszination des Stoffes aus, selber zum Entdecker zu werden, was so einfach ist, da jeder Da Vincis Gemälde und die Stationen der Verschwörung kennt bzw. selber erleben kann). Dramaturgisch fällt auf, dass nach der Exposition schnell die Luft raus ist. Es folgt ein ermüdendes Versteckspiel mit den üblichen Verfolgungsjagden und Hakenschlägen zwischen Hase und Igel. Der Igel, in diesem Fall das Duo Langdon und Sophie, erlebt stellvetretend für uns einen Crash-Kurs in Sachen christlicher Mystik und Mysterien. Diese Belehrung kulminiert in einer beinahe multimedialen Präsentation im PowerPoint-Stil. Auch wenn die Sequenz auf dem Anwesen von Sir Teabing didaktisch mit der Attitüde eines besserwisserischen Oberlehrers abgefilmt wurde, gehört sie doch zu wenigen Momenten, in denen der Film im Spiel mit Symbolik und der christlich geprägten Kulturgeschichte Interesse und Spannung zu erzeugen mag. Die Rückblenden auf Kreuzzüge und Hexenverbrennung (die typischen zwei Punkte jedes Diavortrags zum Thema „Die Geschichte der katholischen Kirche“) sind technisch überaus überzeugend gestaltet, was bei einem Budget von 150 Mio. US-$ vielleicht auch nicht anders zu erwarten war.

Überhaupt ist der Habitus von „The Da Vinci Code“ nur schwer zu ertragen. Aus Sicht des Films scheint es wohl nichts Schlimmeres zu geben, als einen Menschen, der das ganze Spinnennetz aus Vertuschung, Geheimbünden, Artefakten und Bibelcode nicht durchschaut oder durchschauen will. Obwohl: Noch schlechter weg kommen die Frauen, d.h. insbesondere Audrey Tautous Charakter darf immer wieder von ihren männlichen Begleitern auf die großen für so ein zierliches Persönchen einfach nicht zu begreifenden Zusammenhänge hingewiesen werden. Sie muss sich in einer solchen Anhäufung Erläuterungen und Belehrungen anhören, dass es fast ein an Wunder genzt, dass ihr noch kein Blut aus dem Ohr tropft. Bedenkt man die Auflösung, ergibt aber sogar das wiederum einen Sinn, jedenfalls innerhalb der verqueren autarken Weltsicht des Dan Brown.

Kann Regisseur Ron Howard für die Mängel des Drehbuchs von Akiva Goldsman bzw. des Romans von Dan Brown nicht unmittelbar in Haftung genommen werden (da ich Browns Vorlage nicht kenne, will ich die dramaturgischen Unzulänglichkeiten fairerweise einfach an beide adressieren), so muss er den Kopf für die lieblose Bebilderung der Geschichte und die katastrophale Schauspielführung herhalten. Subtilität war zwar noch nie Howards Stärke, aber in einer kraftvollen Geschichte fallen diese Mängel (siehe „Apollo 13“) nicht wirklich negativ auf. Bei „The Da Vinci Code“ sah er sich mit der Herausforderung konfrontiert, den beinahe selber zum Mythos geadelten Roman adäquat zu verfilmen. Ihm fällt nicht viel ein. Außer verfremdeten plakativen Einsprengseln der Kirchengeschichte und Traumata aus Langdons und Sophies Kindheit eilen er und Kameramann Salvatore Totino wie in einem Werbefilm von alten Gebäuden zu alten Gemäuern. Bemerkenswerte Einstellungen gelingen kaum. Ein Blick von Sophie in den Rückspiegel stellt für Sekundebruchteile die Augenpartie von Da Vincis Mona Lisa nach, ein netter Einfall, aber nicht mehr. Während auf die Bildarbeit das Attribut „routiniert“ mit viel Wohlwollen noch angewendet werden kann, ist Hans Zimmers Violinenschmalz besonders zum pathetischen Finale hin ein Fall für das Gesundheitsamt. Die Gefühlsduselei steigt ins Unerträgliche, wenn Hanks alias Langdon in den Pariser Nachthimmel blickt und dazu der Score in sakralen Höhen herumpoltert.

Ein Freund erzählte mir, dass dieser Langdon im Buch als „alternder Harrison Ford“-Typus umschrieben wird. Dumm nur, dass Ford bereits auf der Suche nach dem Heiligen Gral war und somit für das Projekt „Da Vinci“ ausfiel. Ansonsten wäre es vermutlich zu einer Parodie auf seine eigene Filmographie gekommen. Die Alternative, Tom Hanks, ist der eigentliche Fehlgriff von Howard. Seine Präsenz beschränkt sich auf eine neue Frisur. Selten eine so leidenschaftslose Leistung von Hanks gesehen. Einen Teil dieser Unlust mag auch auf das Konto seines Alter Egos gehen. Das Bemerkenswerteste an ihm ist der Umstand, dass er als Kind einst in einen Brunnen gefallen war (hör ich da den Namen Bruce Wayne?), woraus sich eine Phobie vor engen Räumen entwickelte. Da erscheint es nicht gerade hilfreich, wenn ihm mit Sophie Neveu eine zweite Valium-Bombe an die Seite gestellt wird. Was ist nur aus Audrey Tautou geworden? In „Wahnsinnig verliebt“ gelang es ihr mit Leichtigkeit aus den übergroßen „Amélie“-Fußstapfen herauszusteigen, nur um jetzt in die Rolle der treublickenden den Beschützerinstinkt weckenden Mademoiselle zurückzufallen. Quelle Déception!

Letztlich kann auch das große Brimborium nicht darüber hinwegtäuschen, dass Howards Verflimung den Charme einer zweieinhalbstündigen Butterfahrt ins beschauliche Sauerland besitzt. Der ganze aufgeblasene Zirkus um die arg strapazierte Weltverschwörung, Jesus vermeintliche Gattin und den jahrhundertealten Kampf der Geheimbünde passt so auch in eine alte „Terra X“-Folge im biederen ZDF-Vorabendprogramm. Wäre zumindest filmisch eine Aufarbeitung mit Raffinesse und Leidenschaft gelungen, hätten die inhaltlichen Längen vielleicht noch akzeptiert werden können. So wie das Resultat jetzt ausfällt, ist es nur dazu angetan in Lethargie und Gleichgültigkeit zu verfallen. Und das so wenige Tage vor der WM. Schlechtes Timing.

Erschienen bei kino.de.

Freitag, Mai 19, 2006

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Neue Kritiken zu

Der Da Vinci-Code (????) von Ron Howard

The Sentinel (+++) von Clark Johnson

Wie in der Hölle (+++) von Danis Tanovic

Donnerstag, Mai 18, 2006

Tristan & Isolde - Ritter Valium & seine holde Maid

USA 2006

++

Die neueste Adaption des keltischen Sagenstoffes verkommt zu einer hübschen aber jederzeit unsäglich langweiligen Kostümparade mit den typischen Elementen mittelalterlicher Heldenverehrungen (Überfälle aus dem Hinterhalt, Burgturniere, Speis und Trank zur traditioneller Musik). Die größte Schwachstelle ist schnell ausgemacht: James Franco taugt so überhaupt nicht als holder Tristan. Zu steif, zu bemüht, zu dick aufgetragen. Dazu kommt, dass Regisseur Kevin Reynolds offenkundig sein altes "Robin Hood"-Erfolgsrezept recyclen wollte. Meine Besprechung steht bei critic.de online.

Dienstag, Mai 16, 2006

Zuletzt gesehen - Eine Hochzeit zu Dritt

USA 2005

+1/2

Da rollt sie wieder vom Band: die nach einer mathematischen Erfolgsformel zusammengeschusterte romantische Komödie. Der große vermeintliche "Clou" von "Eine Hochzeit zu Dritt" ist, dass im Zentrum eine lesbische Liebesbeziehung steht. Damit haben sich die Neuerungen aber auch schon erschöpft. Besetzt mit PiperPerabo und Lena Headey kann der Film von Ol Parker leider so gar nicht überzeugen. Nicht nur dass alles bereits x-fach besser und charamanter verfilmt wurde (dann doch bitte noch einmal "Vier Hochzeiten und ein Todesfall"), besonders Perabo scheint das Untalent als Schauspielerin gepachtet zu haben. Grässliche Gesichtsverrenkungen, nerviges Sweetheart-Lächeln und aseptisch bis zur Keimfreiheit. Da kann Lena Headey zumindest halbwegs überzeugen, nur fragt man sich, warum sie sich ausgerchnet in das Püppchen Rachel verliebt. Bieder und konservativ traut sich Parkers Liebesschnulze nichts zu, kein Biss, keine zündede Idee das homosexuelle Grundthema anders zu verwursten, als es in das alte heterosexuelle Rollenklischee jeder RomCom zu pressen. Mit einem Wort: Langweilig.

Sonntag, Mai 14, 2006

Appetit machen - C.R.A.Z.Y. ab dem 25. Mai im Kino

Der für mich bislang beste Film des Jahres steht kurz vor dem Start in den deutschen Kinos. Als Vorgeschmack hier der Text des für den Film zentralen Songs "Emmenez moi" von Charles Aznavour! Platte auflegen und mitsingen! *lalalalalala*

Vers les docks où le poids et l'ennui
Me courbent le dos
Ils arrivent le ventre alourdi
De fruits les bateaux

Ils viennent du bout du monde
Apportant avec eux
Des idées vagabondes
Aux reflets de ciels bleus
De mirages

Traînant un parfum poivré
De pays inconnus
Et d'éternels étés
Où l'on vit presque nus
Sur les plages

Moi qui n'ai connu toute ma vie
Que le ciel du nord
J'aimerais débarbouiller ce gris
En virant de bord

Emmenez-moi au bout de la terre
Emmenez-moi au pays des merveilles
Il me semble que la misère
Serait moins pénible au soleil

Dans les bars à la tombée du jour
Avec les marins
Quand on parle de filles et d'amour
Un verre à la main

Je perds la notion des choses
Et soudain ma pensée
M'enlève et me dépose
Un merveilleux été
Sur la grève

Où je vois tendant les bras
L'amour qui comme un fou
Court au devant de moi
Et je me pends au cou
De mon rêve

Quand les bars ferment, que les marins
Rejoignent leur bord
Moi je rêve encore jusqu'au matin
Debout sur le port

Emmenez-moi au bout de la terre
Emmenez-moi au pays des merveilles
Il me semble que la misère
Serait moins pénible au soleil

Un beau jour sur un rafiot craquant
De la coque au pont
Pour partir je travaillerais dans
La soute à charbon

Prenant la route qui mène
A mes rêves d'enfant
Sur des îles lointaines
Où rien n'est important
Que de vivre

Où les filles alanguies
Vous ravissent le cœur
En tressant m'a t'on dit
De ces colliers de fleurs
Qui enivrent

Je fuirais laissant là mon passé
Sans aucun remords
Sans bagage et le cœur libéré
En chantant très fort

Emmenez-moi au bout de la terre
Emmenez-moi au pays des merveilles
Il me semble que la misère
Serait moins pénible au soleil...

Zu meiner Liebeserklärung an Jean-Marc Vallées Coming-of-Age-Extravaganza geht es hier.

Donnerstag, Mai 11, 2006

Silent Hill - Das "Style over Substance"-Prinzip

F/J/USA 2006

++

Das Kino hat in den vergangenen Jahren zunehmend das Computerspiel als Inspirationsquelle für sich entdeckt. Jedoch kam nur selten etwas Ansehnliches dabei heraus. Bis jetzt?

Die gute Nachricht vorneweg: Der unter Kinogängern berüchtigte Uwe Boll hat bei dieser Videospiel-Adaption nicht Regie geführt. Stattdessen übertrugen Sony und Konami dem Franzosen Christophe Gans ("Pakt der Wölfe") die künstlerische Gesamtverantwortung. Seinem "Silent Hill" gelingt es, zumindest auf visueller Ebene zu überzeugen, während dramaturgisch die krude Mixtur aus übersinnlich-religiösen Motiven, Okkultismus-Thriller, Mutter-Tochter-Drama und überflüssiger Nebenhandlung nur leidlich Überzeugendes anzubieten hat.

Aus Verzweiflung, weil die Ärzte ihrer Tochter Sharon (Jodelle Ferland) nicht mehr anders zu helfen wissen, als sie in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen, entschließt sich die junge Mutter Rose (Radha Mitchell), an einen verlassenen Ort namens Silent Hill zu fahren. Das ist der Name, den Sharon immer wieder im Schlaf vor sich hinsagt. Zwischen ihrer rätselhaften Krankheit und der Vergangenheit dieses kleinen Städtchens scheint eine Verbindung zu bestehen. Kurz vor der Ortsgrenze ereignet sich dann ein mysteriöser Zwischenfall. Wie aus dem Nichts taucht mitten auf der Straße ein Mädchen auf. Rose kann im letzten Moment ausweichen und das Steuer herumreißen, doch ihr Wagen kollidiert dennoch mit einer Leitplanke. Als sie wieder zu sich kommt, stellt sie entsetzt fest, daß Sharon verschwunden ist.

Kein Geringerer als "Pulp Fiction"-Spezi Roger Avary nahm sich der keinesfalls einfachen Aufgabe an, ein Videospiel adäquat für die große Leinwand umzusetzen. Bisher litten solche Experimente ("Doom", "Alone in the Dark") unter der komplett sinnfreien und stupiden Story, die am heimischen Controller funktionieren mag, aber als passives Seherlebnis bereits nach wenigen Minuten in sich zusammenfällt. Im Vergleich hierzu vollführt Avary mit "Silent Hill" den notwendigen Schritt in die richtige Richtung. Man kann ohne weiteres sogar von einer "Story" sprechen, die den Bodensatz für das effektvolle Treiben in dunklen Katakomben und nebligen Geisterruinen bildet. Spannung erzeugt das Duo Avary/Gans mit einer angenehm stimmungsvollen Exposition, die sich Zeit für Sharons Charakter und ihre Beweggründe nimmt. Nach dem Verschwinden ihrer Adoptivtochter setzt der Film zu einer sehr stilsicheren Erkundung des unbekannten Terrains an, die schon bald nicht nur Sharons Blut in den Adern gefrieren lassen soll. Die ersten Bilder der geheimnisvollen Kreaturen von "Silent Hill" fallen erschreckend, befremdlich, aber zugleich auch faszinierend aus. Besonders der Anführer der Dämonenschaft stapft als auferstandene Horrorvision eines Hieronymus Bosch durch die Szenerie.

Kameramann Dan Lautsen gelingen schaurig-schöne Bilder des im Nebel versunkenen "point of no return". Auch die Unterwelt mit ihren gekonnten Wechseln zwischen kleinen isolierten Lichtquellen und der übermächtigen, vermeintlich totalen Finsternis erschafft eine wunderbar dichte gruselige Atmosphäre, wie sie so zuletzt nur selten in vergleichbaren Genreproduktionen zu finden war. Hier macht sich das Gespür des Ästheten Christophe Gans bemerkbar. Schon seine vorherigen Filme wie "Pakt der Wölfe" und "Crying Freeman" kennzeichnete eine ähnliche visuelle Raffinesse, die er seinerzeit noch mit einem viel bescheideneren Budget realisierte.

Getreu seiner Maxime eines "Style over Substance" ist es letztlich nicht die Verpackung, an der "Silent Hill" scheitert, sondern der Inhalt. Denn was dem über weite Strecken rätselnden Publikum als Auflösung in einer nicht endenwollenden Aneinanderreihung von Splatter- und Exorzismus-Szenen aufgetischt wird, entbehrt jeder Logik, ist teilweise unfreiwillig komisch und kommt spürbar zusammengeklaut daher. Die zitierten Vorbilder reichen von Arthur Millers "Hexenjagd" über "Der Exorzist" bis hin zu einer Vielzahl der Geister- und Okkultismusschocker der verwichenen zwei Jahrzehnte. Eine eigene Handschrift, wie sie die stilisierte Ästhetik anfänglich zu bieten hat, fehlt völlig. Da nützt es dem Film wenig, wenn im Subtext durchaus brisante Themen wie religiöser Fanatismus und Bigotterie angepackt werden, die heutzutage auch in der westlichen scheinbar säkularisierten Welt eine gefährliche Renaissance erleben. Im effektgetriebenen Plot-Finale und begleitet von ohrenbetäubenden Sound-Kapriolen, die den Zuschauer an den Rand eines Hörsturzes bringen, geht jede noch so hehre Botschaft ungehört unter. Als gelte es neue Rekorde in Sachen akustischer Vergewaltigung aufzustellen, dröhnt und hämmert es während der Action-Sequenzen unablässig aus der Tonanlage. Auch wahre Freunde des Splatter-Kinos dürften vom Ergebnis enttäuscht sein, wurde "Silent Hill" doch im Hinblick auf eine möglichst massentaugliche Konsumierbarkeit konzipiert. Der Härtegrad der blutgetränkten Einlagen bewegt sich konstant unter dem der vor kurzem angelaufenen Horrorproduktionen "The Hills Have Eyes" und "The Descent".

Als inhaltlicher sowie spannungstechnischer Totalausfall entpuppt sich die Nebenhandlung um den von Sean Bean dargestellten Ehemann, der nach dem Verschwinden seiner Frau eigene Nachforschungen in Silent Hill anstellt. Dieser Parallel-Plot zieht den gesamten Film wie Kaugummi in die Länge. Mit einer Laufzeit von mehr als zwei Stunden hätte es vor allem im zähen Mittelteil einer deutlichen Straffung bedurft.Ob man Gans und sein Personal in anbetracht der offenkundigen Mängel und dramaturgischen Fehlentscheidungen zur Verantwortung ziehen will oder sich als Zuschauer nach den zahlreichen dilettantischen Versuchen, ein Konsolenspiel in ein neues Medium zu transformieren, mit ein bißchen Mittelmaß bereits zufrieden gibt, hängt letztendlich wohl vom individuellen Gemütszustand ab. Der aufopferungsvoll kämpfenden Rose wäre das "Silent Hill"-Mittelmaß mit Sicherheit zu wenig.

Zuerst veröffentlicht für evolver.

Mittwoch, Mai 10, 2006

Hostel - Es ist angerichtet!

USA 2005

+++1/2

Es gibt große Filme, die lieben es, sich selbst zu tarnen, ihren wahren Kern möglichst mit visuellen Spielereien oder dramaturgischen Finessen zu verschleiern, oberflüchlich in ein anderes Genre abzutauchen, nur um subversiv die Erwartungen und Gewohnheiten ihres Publikums zu unterlaufen. Auf die Werke M. Night Shyamalans trifft dies zu, die in regelmäßigen Abständen absichtlich oder unabsichtlich als „Horror“ falsch klassifiziert werden oder auch auf Wes Andersons auf den ersten Blick skurrile Klamauk-Grotesken. Eli Roth, dem bereits das Etikett „neue große Hoffnung des Horrors“ angeheftet wurde, geht es nicht anders. Schon sein „Cabin Fever“ sorgte für reichlich Irritationen und Unverständnis, auch bei mir. Entsprechend groß war die Spannung auf seinen zweiten Streich „Hostel“. Nach der reichlich offensiven Vermarktung inklusiver drastischer Filmplakate und Trailer waren die Weichen für eine harte vielleicht sogar abstoßende Filmerfahrung gelegt. Doch während die Erwartungen noch auf der vorgefertigten Schiene in Richtung einer untergehenden blutgetränkten Sonne reisten, lädt uns Roth zu einer beeindruckend geradlinig vorgetragenen Systemanalyse.

Die Geschichte von „Hostel“ ist die Geschichte unserer Wirklichkeit und nicht die Geschichte irgendeines kranken Drehbuchautors, der sich an menschlichen Perversitäten und Abgründen ergötzen möchte. Die Fahrt dreier enthemmter Rucksacktouristen im enthemmten Europa hat soviel mit uns und unserem Leben zu tun, dass es schwerfällt, dieses auch zuzugeben. Wenn Paxton (Jay Hernandez) und seine beiden Kumpels im slowakischen Hinterland, irgendwo im Nichts auf einer alten brach liegenden Industrieanlage zur Ware Mensch degradiert werden und als blutiger Zeitvertreib für gelangweilte Millionäre oder verkappte Psychopathen in Nadelstreifen herhalten müssen, legt Roths Film den Finger tief in die Wunde eines zugellösen Kapitalismus. Dieser funktioniert auch an den schrecklichsten Orten, in dem die Schlachtplatte preislich gestaffelt nach Nationalitäten angeboten wird (Amerikaner „kosten“ 15.000 US-$, Asiaten nur 5.000 US-$). Die bittere Ironie an Paxtons Schicksal ist, dass er nur wenige Tage zuvor noch auf der anderen Seite stand. Für ein paar Scheine kaufte sich das spaßgeile Männertrio auf seinem Eurotrip einen schnellen Blowjob und eine geile hemmunglose Nummer.

Seziert man „Hostel“ so zerfällt er in drei sich einander bedingende Fragmente. Alles beginnt recht harmlos und seicht mit einer kiffenden Tour d’ Errection, angereichert mit platten sexistischen Witzeleien, die so auch in jedem „American Pie“-Film hätten Verwendung finden können. Nach ihrer Ankunft in der Slowakei setzt ein erster Stimmungsumschwung ein, erinnert die Kulisse des verträumten Städtchens an einem fast zu idyllischen Fluss doch auf seltsame Weise an die Enge und Fremdheit aus Kafkas Romanen. Die Orte, wie das Hotel der Jungs und die Gassen der Altstadt, strahlen einen altmodischen Zauber aus, der mit der Unbeschwertheit ihrer ersten Station, Amsterdam, bewusst bricht. Mit dem Ausstieg aus dem Zug, den ersten Schritten auf einem heruntergekommenen Bahnhof, schwebt über „Hostel“ urplötzlich ein anderer Geist. Es ist ein strafender Blick, der auf die Drei fällt. Unwissend sollen sie ihrem Verderben entgegenreisen. Es dauert dann aber noch einmal fast eine weitere halbe Stunde bis Roth die Spielhölle öffnet und die Karten auf den Tisch legt. Das, was er uns dann zeigt (oder besser was er andeutet), soll zu einem visuell beeindruckenden Synonym für das moderne Horrorkino werden. Denn Schrecken verbreitet „Hostel“ schon, aber keineswegs auf die bekannte Art und Weise.

Der Schrecken entfaltet sich bei Roth erst in einem perfekt getimten Zusammenspiel aus plakativen Gore-Elementen, einer nihilistischen kalten Atmosphäre in den düsteren Katakomben der „Fleischfabrik“ und der bei uns Zuschauern langsam durchsickendern Erkenntnis, wie nah das soeben Gezeigte der Realität kommt. Das muss nicht heißen, dass ein Ort wie „Hostel“ ihn beschreibt tatsächlich existiert, es reicht aus, dass uns die Mechanismen, die diesen Ort erst möglich gemacht haben, vertraut erscheinen. Der Magnet hat eine Gravur: GIER steht in roten Lettern dort eingebrannt. Die Gier nach dem letzten Kick, die Gier nach dem schnell verdienten Geld ohne moralische Skrupel. Dass Roth den Schauplatz nach Osteuropa verlegt hat, ist durchaus nicht unerheblich. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wandelten sich viele der ehemaligen Blockstaaten zu kleinen wirtschaftlichen Musterschülern, die für viele Unternehmen bereitwillig den roten Teppich ausrollten. Während das Bruttoinlandsprodukt florierte, versank ein Teil dieser Gesellschaften in bitterster Armut.

Auf der Ziellinie wandelt sich „Hostel“ dann schließlich in einen klassischen Revenge-Thriller. Paxton nimmt das Heft des Handelns auf, wobei ihm erst die Dummheit eines der Freizeit-Mengeles die Flucht ermöglicht. Mit Selbstjustiz antwortet er auf die zuvor seitens der selbsternannten Richter über Leben und Tod erlittenen Qualen. In der Dialektik von „Hostel“ erscheint es legitim, Unrecht mit Unrecht zu vergelten, zumindest dann, wenn die Handlungsebene zur Beurteilung herangezogen wird. Unterschwellig suggeriert Roth mit Bildern eines im feinen Manager-Dress seltsam verkleidet erscheinenden Ex-Schlachtviehs, dass Rache nehmen kein ehrenwertes oder gar befriedigendes Unterfangen sein kann. Die junge Japanerin, die Paxton befreit und wie ein Schutzengel den Weg aus der Hölle weist, offenbart stellvertretend für alle Opfer, welche Leiden und Qualen, seelischer und körperlicher Natur, Menschen Menschen zufügen können. Wer das erlitten hat, was sie erleiden musste, ist innerlich bereits gestorben. „Hostel“ ist also doch ein Horrorfilm.

Erschienen bei kino.de.

Freitag, Mai 05, 2006

Sabah - Clash of Cultures


KAN 2005

++1/2

Hier haben wir einen weiteren Vertreter der typischen "Clash of Cultures"-Komödie. "Sabah" lässt sich am ehesten als die romantisch-humorvolle Kopie von Ken Loachs Immigrantendrama "Just a Kiss" umschreiben, nur dass hier die Frau mit den Traditionen und religiösen Vorschriften ihrer Familie zu kämpfen hat und nicht der Mann. Sabah verliebt sich mit Anfang 40 in einen Kanadier, der, welch Überraschung, natürlich kein Moslem ist. Daraus entspinnt der Film eine recht vorhersehbare aber durchaus charmante Romantic Comedy. Für den kleinen Hunger zwischendurch. Macht gute Laune. Die ausführliche Kritik gibt es bei critic.de.

Mittwoch, Mai 03, 2006

Die Zeit, die bleibt - Jeder stribt für sich alleine

F 2005

+++

Irgendwie ist es bezeichnend, wenn man als Zuschauer unmittelbar nach Ansicht von Francois Ozons neuestem Film zunächst über die Doppeldeutigkeit des Titels nachdenkt, anstatt mit Haut und Haar das Gesehene rekapitulieren zu wollen. Das Verb „bleiben“ besitzt, genauso wie sein französisches Pendant „rester“ im Originaltitel „Le Temps, qui reste“, eine gewisse Ambivalenz. Wenn wir die Geschichte eines jungen Mannes erzählt bekommen, der erfährt, dass er nur noch wenige Monate zu leben hat, dann kann diese Zeit, die „bleibt“ zweierlei bedeuten: Zum einen steht sie für die wenigen kostbaren Momente, die dieser Mann noch erleben darf. Gleichzeitig kann auch eine ganz andere Zeit gemeint sein, nämlich die, die in einem und in den anderen zurückbleibt. Das mögen Erinnerungen an die Kindheit, an die Pubertät, das Elternhaus oder an enge Freunde sein und vice versa Erinnerungen all jener Menschen an einen selbst, der erfahren hat, dass er schon mit Anfang 30 sterben muss.

Romain (Melvil Poupaud) heißt der Protagonist bei Ozon. Er ist Modefotograph, arrogant, nicht besonders liebenswert, ein Hedonist, kokssüchtig und einsam. Als ihn die Diagnose Krebs im Endstadium erreicht, beschließt er nicht kämpfen zu wollen, weil die Aussichten auf eine Heilung einfach zu gering sind. Zunächst gibt er sich cool, gelassen, doch als er dann alleine im Park sitzt und in die anderen scheinbar sorglosen Gesichter seiner Mitmenschen blickt, zerfällt der Schock in Trauer und Wut. Er bringt es nicht fertig, seinem Freund Sasha (Christian Sengewald) oder seinen Eltern die Diagnose zu übermitteln. Nur seiner Großmutter (Jeanne Moreau) vertraut er sich an. Bei ihr darf er endlich einmal schwach und egoistisch sein, so wie er wirklich ist. Hinter der gestylten Fassade steckt immer noch der kleine Romain, der sich das Glück seiner Kindheit zurückwünscht. Wie es der Zufall so will, trifft Romain auf einer Autobahnraststätte eine Kellnerin (Valeria Bruni-Tedeschi), die ihm ein ungewöhnliches Angebot machen soll.

Mit „Die Zeit, die bleibt“ setzt Regie-Wunderkind Ozon nach „Unter dem Sand“ seine Trilogie über das Sterben fort. Kennzeichnend ist sein leicht distanzierter Blick auf die Dinge, welcher schon das Ehe-Drama „5x2“ durchzog. Filme über den Tod, besonders dann, wenn sich ein Mensch mit diesem konfrontiert sieht, der eigentlich noch nicht einmal die Hälfte seines Lebens gelebt hat, driften mitunter schnell in manipulierende Melodramatik und religiös eingefärbten Kitsch ab. Unter beiden litt zuletzt Isabel Coixets „Mein Leben ohne mich“. Nicht so bei Ozon. So wie Romain die Welt per Kameraobjektiv immer auf Distanz zu sich hielt, bleibt auch Ozon stets auf einem vordefinierten Abstand zu seinem Protagonisten. Das schließt nicht aus, daß einige Szenen sehr intim wirken. Eher aus Respekt und vielleicht auch aus Angst, womöglich doch in die Sentimentalitätsfalle zu tappen, wählt Ozon diesen Blickwinkel.

Wieder einmal arbeitet der Regisseur bei der Bildästhetik mit unterschiedlichen Schärfen und Perspektiven. Entweder wir sehen nur Romain im Hintergrund, wie er eine Szenerie beobachtet, oder wir sehen ihn unscharf, verschwommen, während sich die Kamera auf die Ereignisse im Vordergrund fokussiert. Das schafft eine Anspannung, die mit Worten nicht zu erzeugen wäre. Es ist Romains Einsamkeit, die bewegt. So wie er über den Großteil seines Lebens alleine war, so allein ist er auch auf diesem letzten Weg. Die einzige, die dies erkennt, ist seine Großmutter. Als Konsequenz erlaubt er sich ehrlich zu sein, gegenüber seinem Freund, gegenüber seiner Familie, mit der bitteren Ironie, dass er gerade die Nachricht seiner Krankheit für sich behält.

Der Strand als Ausgangs- und Endpunkt der Story findet sich auch in diesem Ozon wieder. Für ihn symbolisiert dieser Schauplatz auch den Anfang und das Ende unseres Seins. Die Bilder der Schlußeinstellung üben dabei eine Faszination aus, die fast schon suggestiv unsere Sehnsüchte abarbeitet. Zusammen mit der Szene im Park, in der Romain mit seiner entfremdeten Schwester telefoniert, sind sie die emotionalen Höhepunkte in einem ansonsten kühl und unsentimental konzipierten Werk. Dies stellt keine Kritik dar, es soll vielmehr ausdrücken, was sich der Zuschauer von „Die Zeit, die bleibt“ möglichst nicht erwarten darf. Dafür gibt es schließlich die Dramen von Stephen King. Interessant ist, was mit den Fotos geschieht, die Romain gemacht hat. Wenn diese seine Familie erreichen, ist er bereits tot. Sie sind sein Vermächtnis.

Der bislang eher unbekannte Mevil Poupaud und die Grand Dame der Nouvelle Vague Jeanne Moreau liefern Darstellerleistungen ab, die jeden Film veredeln würden. Poupaud muss den schauspielerischen Drahtseilakt zwischen einer im Einsturz befindlichen Selbstschutzfassade und der knallharten Konfrontation mit den Realitäten überstehen, was ihm eindrucksvoll gelingt. In dem schönen modelltypischen Gesicht bricht immer wieder die reine Angst vor dem Sterben und die Enttäuschung über ein über weite Strecken unglückliches Leben hervor. Von Jeanne Moreau hätte ich gerne mehr gesehen. Ihre Leinwandpräsenz beschränkt sich auf wenige Minuten, welche dafür die Atmosphäre einer lange zurückliegenden großen Kino-Ära atmen.

Wie eingangs bereits angedeutet liegt die Qualität von Ozons Film darin, dass wir anhand einer Chronik der letzten Wochen im Leben eines nicht unbedingt sympathisch gezeichneten Charakters beginnen über uns selbst zu reflektieren. Wie würde sich jeder von uns in dieser Ausnahmesituation verhalten? Würden wir die Nachricht auch für uns behalten? Ozons Credo zum „Carpe Diem“ ist ein Film zum Nachdenken geworden. Und weniger zum Nachempfinden.

Zuerst veröffentlicht bei evolver.

Dienstag, Mai 02, 2006

Zuletzt gesehen - Paparazzi

USA 2004

Null Sterne

Von Mel Gibson produziert, ein absoluter niveauloser dilletantischer Revenge-Thriller mit Charakteren, für die die Bezeichnung "holzschnittartig" noch eine Untertreibung darstellen würde. Cole Hauser in der Hauptrolle ist an Talentlosigkeit nicht mehr zu überbieten, allenfalls Tom Sizemore als schmieriger Brutalo-Photograph scheint den Dünnschiss dieses Films durchschaut zu haben und sich in seiner Rolle darüber gleich lustig zu machen. Über die zweifelhafte Botschaft des Films lässt sich lange debattieren, besonders da sie mit überhaupt keiner ironischen Distanz wie bspw. noch beim "Punisher" dargestellt wird, der zudem optisch noch zu überzeugen wusste. Das Ganze scheint vielmehr dem persönlichen Vergnügen des Herrn Gibson zu dienen, der damit seinen Groll auf die "böse böse Presse" befriedigen wollte. Unterste Schublade. Ein Film, der zu Recht zwei Jahre auf einen Release-Termin wartete. Leider hat er es jetzt dennoch irgendwie ins Kino geschafft.